Experteninterview: „Heimisches Gemüse und Obst ist genauso gut wie Superfood“
Gelbe Seiten: Chiasamen, Goji-Beeren, Spirulina-Algen: Sind solche „Superfoods“ wirklich so gesund?
Wiebke Franz: „Der Begriff ‚Superfood‘ ist nicht definiert. Die Produkte sollen sich auszeichnen durch einen hohen Gehalt an besonders wertvollen Inhaltsstoffen. Auch gesundheitliche Wirkungen werden ihnen oft zugeschrieben: Sie sollen zum Beispiel schlank machen, den Cholesterinspiegel senken oder das Immunsystem stärken. Tatsächlich haben sie aber keinen Mehrwert im Vergleich zu heimischem Gemüse und Obst. Regional angebautes Obst und Gemüse hat oft einen ebenso hohen Nährstoffgehalt.“
Gelbe Seiten: Welche regionalen Alternativen zu Chiasamen oder Acaibeeren gibt es?
Wiebke Franz: „Grundsätzlich haben alle Gemüse- und Obstarten einen hohen Gehalt an Vitaminen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzenstoffen. Häufig zeichnet sich eine Art durch ein oder zwei Stoffe aus, von denen sie besonders viel enthält. Radicchio oder Chicorée haben beispielsweise viele Bitterstoffe. Dunkle heimische Beeren wie Heidelbeeren, Brombeeren oder Holunderbeeren zeichnen sich durch einen hohen Gehalt an antoxidativ wirkenden Pflanzenstoffen aus – da braucht man keine Acaibeeren. Die viel gepriesenen Chiasamen enthalten viele Omega-3-Fettsäuren und Ballaststoffe. Der heimische Leinsamen liefert uns aber genauso viele Omega-3-Fettsäuren und Ballaststoffe. Man sollte aber darauf achten, dass der Leinsamen wirklich aus regionalem Anbau kommt, denn es gibt sowohl deutschen Leinsamen als auch exotischen.“
Gelbe Seiten: Was sind die Nachteile, wenn ich Chiasamen oder Kokosöl kaufe?
Wiebke Franz: „Gerade bei Chiasamen gibt es sogar eine Höchstmengenempfehlung. Man sollte nicht mehr als 15 Gramm davon pro Tag aufnehmen. Generell ist es so, dass Superfoods exotischer Herkunft oft schlechter kontrolliert sind. Sie können daher mit Pestiziden oder anderen Schadstoffen belastet sein, zum Beispiel mit Schwermetallen. Dazu kommt: Durch die langen Transportwege verbrauchen sie mehr Energieressourcen, belasten das Klima stärker. Häufig sind sie auch nicht so frisch erhältlich wie heimisches Gemüse und Obst und haben dadurch schon Nährstoffe auf der langen Reise verloren. Und: Sie sind auch häufig teurer als die heimischen Superfoods.
Gelbe Seiten: Wie gesund sind Nahrungsergänzungsmittel, die zum Beispiel Extrakte aus Spirulina enthalten?
Wiebke Franz: „Für Extrakte und Zubereitungen gilt: Sie sind nicht standardisiert wie Arzneimittel. Es können sich durch die Konzentrierung einzelner Nährstoffe auch negative Wirkungen ergeben, das ist generell ungünstig. Spirulina ist eine Mikroalge, die wegen ihres (angeblich) hohen Nährstoffgehalts angepriesen wird, vor allem an Vitamin B12. Unter anderem soll sie den Körper entgiften. Wir verzehren aber durch Nahrungsergänzungsmittel so geringe Mengen, dass eine solche Wirkung nicht zu erwarten ist. Das Vitamin B12, das so angepriesen wird, liegt in der Alge in einer schlecht verwertbaren Form vor. Dazu kommt, wie erwähnt, das Problem, dass die Produkte belastet sein können. In Algen können Coli-Bakterien oder Kleinstlebewesen stecken. Man sollte – wenn schon Spirulina – darauf achten, dass die Algen aus geschlossenen Zuchtsystemen stammen.“
Gelbe Seiten: Kann ich mich denn überhaupt mit speziellen Lebensmitteln „gesund“ essen?
Wiebke Franz: „Man kann sich nicht mit einem einzelnen Lebensmittel gesund essen. Kein Lebensmittel liefert alle Nährstoffe, die wir brauchen. Man ist auf eine Fülle von Lebensmitteln angewiesen. Es ist ganz wichtig, „bunt“ zu essen – und die Basis muss stimmen: Viel buntes Gemüse und Obst, Vollkorn, Hülsenfrüchte, Nüsse, Ölsamen und Milchprodukte. Fleisch, Fisch und Eier in Maßen. Häufig besteht der Wunsch, eine ungünstige Lebensmittelauswahl – zum Beispiel viel fettreiche Fleischprodukte und hochverarbeitete Lebensmittel – mit ein paar Superfoods auszugleichen. Das ist ein schöner Wunsch, aber das klappt leider nicht.“