Ist Magersucht eine Sucht? 5 häufige Fragen zu Anorexia nervosa
Ist Magersucht eine Sucht?
Ein "klassisches" Suchtverhalten liegt gemäß der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) vor, wenn drei oder mehrere Kriterien vorliegen:
- Es besteht der innere Zwang zum Konsum: Der Betroffene hat keine Kontrolle über den Konsum.
- Entzugssymptome: Wird der Konsum reduziert oder gestoppt, treten körperliche Entzugssymptome auf.
- Toleranzbildung: Der Betroffene muss seinen Konsum immer weiter steigern, um die gewünschte Wirkung zu erreichen.
- Rückzug: Der Konsum wird immer mehr zum Lebensinhalt. Interessen werden vernachlässigt, der Zeitaufwand für die Beschaffung nimmt zu – ebenso die Erholung vom Konsum.
- Verdrängte Gefahr: Trotz Wissen um drohende beziehungsweise bereits vorliegende Gesundheitsschäden konsumiert der Betroffene weiter.
Essstörungen sind nicht der Gruppe der Abhängigkeitserkrankungen zugeordnet. Allerdings ähneln einige der Suchtkriterien in bestimmten Punkten durchaus denen suchtkranker Personen. Drei Punkte grenzen die Magersucht von einer Sucht im klassischen Sinn ab:
- Nahrungsmittel haben keinen direkten Einfluss auf das zentrale Nervensystem und das Bewusstsein.
- Eine körperliche Abhängigkeit liegen nicht vor.
- Es treten keine Entzugserscheinungen auf.
Allerdings deuten Forschungen bei Essstörungen auf bestimmte neurologische Prozesse im Bereich des Belohnungszentrums hin, die denen einer Abhängigkeitserkrankung ähneln.
Welche Symptome deuten auf eine Magersucht hin?
Mit der Magersucht gehen eine Reihe verschiedener Symptome einher. Das Hauptsymptom ist die drastische Gewichtsabnahme. Mediziner stellen die Diagnose Magersucht, wenn das Körpergewicht der Betroffenen unter einem BMI von 17,5 oder weniger liegt. Zu den diagnostischen Leitlinien nach ICD-10 gehören zudem folgende Magersucht-Symptome:
- Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch Vermeidung von hochkalorischen Speisen sowie eine oder mehrere der folgenden Verhaltensweisen: selbstinduziertes Erbrechen, selbstinduziertes Abführen, übertriebene körperliche Aktivität, Gebrauch von Appetitzüglern und/ oder Diuretika.
- Körperschemastörung in Form einer spezifischen psychischen Störung: die Angst zu dick zu werden, besteht als eine tiefverwurzelte überwertige Idee; die Betroffenen legen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst fest.
- Bei Frauen Ausbleiben der Monatsblutung und bei Männern Libido- und Potenzverlust.
- Erhöhte Wachstumshormon- und Kortisolspiegel, Änderungen im Bereich der Schilddrüsenhormone und Störungen der Insulinsekretion können ebenfalls vorliegen.
- Bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät Verzögerung beziehungsweise Hemmung der Entwicklung.
Ist Magersucht ein „Frauenproblem“?
Essstörungen sind häufiger bei jungen Mädchen und Frauen zu finden als bei Jungen und Männern. Dennoch ist Magersucht keine „Frauenkrankheit“. Untersuchungen zufolge sind rund zehn Prozent der an Anorexia nervosa und Bulimia nervosa erkrankten Personen männlich. Bei der Binge-Eating-Störung ist von einem höheren Anteil auszugehen.
Die männliche Anorexia nervosa hat ihren Ursprung häufig in dem Wunsch nach mehr Anerkennung. Diese erhoffen Männer mit einem Körper zu erlangen, der dem männlichen Schönheitsideal entspricht. Magersucht bei Männern zeigt sich daher nicht nur im Magersein, sondern häufig in Form von exzessivem Sportverhalten und intensivem Muskeltraining.
Die Ernährung wird umgestellt: Die „erlaubten“ Lebensmittel fördern den Muskelaufbau. Kohlenhydrate und Fette sind „verboten“, um den Körperfettanteil möglichst gering zu halten. Der geformte und starke Körper wird zum Symbol für Selbstdisziplin und Erfolg. Das Leben dreht sich vorrangig um Training und Diät. Sozialer Rückzug ist eine häufige Folge.
Warum ist Magersucht so gefährlich?
Magersucht hat die höchste Sterblichkeitsrate von allen psychischen Erkrankungen. Nach Angaben des Bundesfachverbands Essstörungen sterben bis zu 15 Prozent der Erkrankten an der Magersucht - entweder durch Infektionen, Herzprobleme oder auch durch Selbstmord. Wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) mitteilt, haben Menschen mit Magersucht ein mehr als fünffach höheres Risiko zu sterben als Gleichaltrige ohne Erkrankung.
Die gesundheitlichen Gefahren, die von der Magersucht ausgehen, werden von den Betroffenen selbst meist nicht wahrgenommen. Sie verharmlosen ihr Essverhalten und reagieren mit Ablehnung und Aggression, wenn man sie mit ihrer Essstörung konfrontiert. Sie verstehen nicht, dass ihr Verhalten krankhaft ist. Aus diesem Grund suchen sich magersüchtige Personen – wenn überhaupt – oft erst sehr spät Hilfe.
Oft sind es die Angehörigen, die zu einer Therapie drängen. Doch: Ist der Betroffene nicht bereit, seine Essstörung „aufzugeben“, sind die Erfolgsaussichten einer Therapie gering. Generell ist die Abbruchquote sehr hoch, ebenso die Rückfallquote.
Birgt jede Diät das Risiko einer Magersucht?
Nicht jede Diät fördert die Entstehung einer Magersucht. Damit dies geschieht, müssen mehrere Faktoren zusammenspielen. Dazu gehören sowohl genetische und/ oder biologische Einflüsse als auch soziokulturelle und individuell-psychologische Faktoren. Die Magersucht ist nicht allein ein Problem mit dem Essen. Sie ist der Versuch, mit Nicht-Essen Schwierigkeiten zu bewältigen, die auf anderem Wege nicht gelöst werden können. Essstörungen haben immer psychische Hintergründe.
Dennoch beginnt die Essstörung in vielen Fällen mit einer harmlos erscheinenden Diät. Es wirkt zudem verstärkend, wenn andere auf die Gewichtsabnahme mit Anerkennung und vermehrter Aufmerksamkeit reagieren. Oft sind es leistungsorientierte, strebsame Menschen mit hohen Zielen und einem niedrigen Selbstwertgefühl, die an Magersucht erkranken.