So krabbelt es in deutschen Haushalten: Interview mit einem Schädlingsbekämpfer
Gelbe Seiten: Frau Holl, wie ist ihr Verhältnis zu den Lebewesen, die von vielen als Ungeziefer bezeichnet werden?
Bärbel Holl: Die Bezeichnungen „Schädling“ oder „Ungeziefer“ mag ich nicht besonders – erst der Blick des Menschen macht diese kleinen Lebewesen dazu. Genauso wie alle anderen auch, haben diese Tierchen ihre Daseinsberechtigung. Viele, die in menschlichen Behausungen nicht gern gesehen sind, erweisen sich ja anderswo als sehr nützlich. Für die Tiere macht es auch keinen Unterschied, ob sie zum Beispiel in der Natur Abfallprodukte zersetzen oder die Kleidung im Schrank – aber für uns.
Mit den Jahren habe ich wirklich eine Leidenschaft für meine Schädlinge entwickelt und freue mich, wenn mir bei meiner Arbeit ein besonders seltenes Exemplar begegnet. Besonders bewundere ich ihre Überlebensfähigkeit. Fast alle sogenannten Schädlinge existieren schon viel länger auf diesem Planeten als wir. Schaben gibt es beispielsweise schon seit etwa 350 Millionen Jahren.
Gelbe Seiten: Viele Menschen geraten in Panik, wenn sie in ihrem Zuhause Silberfischchen oder Kakerlaken entdecken. Warum?
Holl: Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, dass die Tiere als Invasion von außen wahrgenommen werden, also als fremde Lebewesen, die unangekündigt in den Privatbereich eindringen und dort Schaden anrichten. Da sich der Mensch ja zudem leider immer stärker von der Natur entfremdet, fühlt er sich von den Tieren schnell unangemessen bedroht. Hinzu kommen Schreckensszenarien und Halbwahrheiten aus Filmen oder dem Internet.
Daher ist leider auch der häufigste Impuls, wenn jemand Schaben oder Silberfischchen entdeckt: Schnell töten und entsorgen. Doch dieses Verhalten hilft nicht weiter, wenn Sie die Tiere loswerden möchten.
Gelbe Seiten: Wie verhalte ich mich denn am besten, wenn ich so ein Tierchen bei mir finde?
Holl: Fangen Sie es ein, stecken Sie es in ein leeres Glas mit Verschluss und lassen Sie es von einem Fachmann bestimmen. Das ist das Wichtigste. Denn um ein Tier nachhaltig und mit den richtigen Mitteln bekämpfen zu können, müssen wir wissen, worum es sich überhaupt handelt. Es reicht nicht, dass Sie anrufen und sagen „Bei mir sind so merkwürdige Käfer“, aber dann kein Exemplar mehr vorweisen können.
Ebenso verkehrt ist es, gleich mit heftigen Insektiziden aus dem Baumarkt oder anderen Chemikalien herumzusprühen. Es gibt jede Menge ökologische Mittel und Wege, um die Schädlinge, je nach Art, dauerhaft zu bekämpfen.
Ansonsten sollten Sie auch bedenken, dass viele Tiere einen Hinweis darauf geben, dass etwas im Haus nicht in Ordnung ist. So können beispielsweise Silberfischchen auf Feuchtigkeitsprobleme im Gebäude aufmerksam machen. Manchmal sage ich dem Kunden: Seien Sie dankbar, dass diese Tiere gekommen sind – sonst hätten Sie das Problem nicht bemerkt.
Gelbe Seiten: Welche Schädlinge sind in deutschen Haushalten besonders verbreitet?
Holl: Das hat immer mit der Region zu tun. Generell ist der Schädlingsbefall in der Stadt etwas stärker als auf dem Land. Im letzten, heißen Sommer hatten wir vermehrt mit Wespen zu tun. Ansonsten werden wir recht häufig wegen Mäusen oder Ratten gerufen.
Generell hängt das Auftreten der Schädlinge übrigens häufig mit der Bauweise der Gebäude zusammen: Gibt es beispielsweise Hohlräume in der Wand, sind diese ein optimaler Aufenthaltsort für Mäuse.
Gelbe Seiten: Haben die Tiere saisonale Vorlieben? Gibt es Sommer- oder Winterschädlinge?
Holl: Die meisten Tiere mögen es warm und sind im Winter weniger aktiv. Daher nehmen wir Schädlingsbekämpfer unseren Urlaub auch meist in der kalten Jahreszeit. Je wärmer es wird, desto mehr ist zu tun. Motten zum Beispiel verharren in einer Winterstarre und werden erst im Frühjahr wieder aktiv.
Allerdings bekommen auch wir den Klimawandel in unserer Arbeit zu spüren, das habe ich vor allem in den letzten zehn Jahren beobachtet. So überlebten zum Beispiel früher die Wespen den Herbst nicht, weil es entsprechend kühl wurde. Daher erledigte sich das Problem Wespennest meist von selbst. Heute hingegen finde ich nach einem warmen Winter auch im Frühling noch lebendige Tiere. Die heutzutage gut isolierten Häuser und Wohnungen tragen natürlich auch dazu bei, dass sich die Lebewesen dort das ganze Jahr über wohlfühlen.
Gelbe Seiten: Welche Tiere können denn den größten Schaden anrichten?
Holl: Jeder Schädling hat natürlich sein Spezialgebiet, aber das am meisten unterschätzte Tier ist meiner Erfahrung nach die Ameise. Diese Tierchen können ganze Gebäude zum Einsturz bringen. Grundlage sind meist ein Feuchtigkeitsschaden oder ein Pilz im Haus, der durch die Ameisen weiter getragen wird. Die Folge sind dann oft große bauliche Schäden, deren Behebung ziemlich teuer ist.
Gelbe Seiten: Wie kann ich denn allgemein einem Befall durch Schädlinge vorbeugen?
Holl: Hier lautet eine Grundregel: Bieten Sie den Tieren so wenig Nischen und Nistmöglichkeiten wie möglich. Bewahren Sie Ihre Vorräte in verschlossenen Behältern auf, halten Sie Schränke und Speisekammer sauber und saugen Sie regelmäßig.
Misten Sie Ihren Kleiderschrank immer mal wieder aus und sehen Sie zu, dass Sie möglichst wenig Gerümpel herumstehen haben, das nicht mehr benutzt wird. Auch Speicher und Keller sollten Sie regelmäßig überprüfen und alles, was Sie einlagern möchten, in verschlossenen Boxen aufbewahren.
Ansonsten können Sie mit Fliegengittern vor den Fenstern auch eine Menge abhalten.
Was darüber hinaus sehr wichtig ist: Keine falsche Scham! Auch bei bester Hygiene können Sie sich Schädlinge ins Haus holen, indem Sie zum Beispiel Lebensmittel einkaufen, in denen sich Eier oder Larven befinden. Oder Sie erhalten über gebrauchte Möbelstücke Holzschädlinge oder bringen sich Bettwanzen aus dem Urlaub mit. Bei manchen Schädlingen ist es sogar sehr wichtig, die Nachbarn darauf hinzuweisen. Schaben beispielsweise machen vor Wohnungsgrenzen nicht Halt. Sie tummeln sich dann über das Leitungssystem von Wasser- und Heizungsrohren im gesamten Haus.
Gelbe Seiten: Gibt es ein Erlebnis aus Ihrer Arbeit als Schädlingsbekämpferin, an das Sie sich besonders gern erinnern?
Holl: Da gibt es so einige. Besonders gern erinnere ich mich an den Anruf eines teuren Möbelhauses, das einem Kunden ein schickes Ledersofa nach Hause geliefert hatte. Und der bekam dann rote Flecken an den Füßen, nachdem er darauf gelegen hatte. Seine Frau vermutete zunächst eine Lederallergie. Schließlich stellte sich aber heraus: Es handelte sich um Flohstiche.
Wie aber waren die Flöhe in dieses neue Sofa gekommen? Das herauszufinden, war für mich als Schädlingsbekämpferin eine Herausforderung. Auf die Lösung kam ich schließlich durch Querdenken: In dem Möbelhaus war es erlaubt, Hunde mitzubringen. Und so hatten es sich wohl Hundeflöhe im Innenleben der neuen Couch gemütlich gemacht und piesackten nun diesen Mann. Der Kunde und seine Frau nahmen die ganze Sache zum Glück mit Humor – sie schmunzelte und sagte, sie habe das neue Sofa sowieso nie gemocht.
Gelbe Seiten: In welchen Fällen sollte ich denn den Schädlingsbekämpfer rufen?
Holl: Wenn Sie mal eine Maus durchs Haus laufen sehen, besorgen Sie sich eine Schlagfalle und fertig – dafür brauchen Sie keinen Fachbetrieb. Merken Sie aber, dass 20, 30 Mäuse auf dem Speicher herumturnen, sollten Sie einen Spezialisten hinzuholen. Und auch, wenn ein unbekanntes Tier, zum Beispiel ein Käfer, in verschiedenen Bereichen Ihres Zuhauses auftritt, dann sollten Sie diesen zumindest bestimmen lassen. Vielleicht ist er harmlos, aber vielleicht handelt es sich auch um eine Schabe, die ein großes Problem werden kann. Auch Bettwanzen kriegen Sie nicht allein in den Griff.
Leider haben viele Menschen eine unbestimmte Angst vorm Schädlingsbekämpfer, weil sie denken, der kommt sofort und macht was Giftiges. Das stimmt ja überhaupt nicht. Zum einen haben wir ökologische Methoden, und zudem enden viele unserer Einsätze oft bereits mit der Beratung des Kunden.
Gelbe Seiten: In der Branche gibt es einige schwarze Schafe. Woran erkenne ich, ob ein Schädlingsbekämpfer seriös ist?
Holl: Man kann natürlich über die Verbände gehen, es gibt zwei relevante Berufsverbände, den Deutschen Schädlingsbekämpfer Verband und den Verein zur Förderung ökologischer Schädlingsbekämpfung.
Ansonsten ist es wichtig, dass Sie nicht an ein Callcenter geraten. Der Betrieb, den Sie anrufen, sollte Ihnen fachlich kompetente Auskunft geben können. Fragen Sie ruhig auch nach, ob es dort geprüfte, ausgebildete Schädlingsbekämpfer gibt. Denn es handelt sich ja um einen Ausbildungsberuf.
Skeptisch werden sollten Sie, wenn einer am Telefon sagt: „Ich komm sofort raus und mach‘ da was“. Denn das Wichtigste ist die umfangreiche Beratung vorab. Wird die ausgelassen oder im Eiltempo abgehandelt, sollte man vorsichtig sein. Dann rufen Sie vielleicht besser nochmal anderswo an.