Was stimmt, was nicht? Eine Augenärztin räumt mit Augen-Mythen auf
Das Auge ist eines der wichtigsten Sinnesorgane des Menschen. Warum eine regelmäßige Vorsorge auch für Menschen ohne Fehlsichtigkeit wichtig ist, ob Augenübungen sinnvoll sind und welche Warnzeichen niemand ignorieren sollte, weiß Dr. Nicole Fuchs, Oberärztin an der Klinik für Augenheilkunde der Universität Jena.
Gelbe Seiten: Viele Menschen, die nicht an Fehlsichtigkeit leiden, gehen fast nie zum Augenarzt. Ist das unproblematisch oder ist eine regelmäßige Vorsorge empfehlenswert?
Nicole Fuchs: Das kommt auf die Vorerkrankungen und aufs Alter an. Diabetiker und Patienten, in deren Familien Grüner Star vorkommt, sollten auf jeden Fall regelmäßig den Augenarzt aufsuchen. Und ganz generell sollten Personen ab einem Alter von 45 Jahren einmal im Jahr routinemäßig erscheinen, um mögliche Krankheitsbilder frühzeitig zu erkennen.
Aber können am Auge nicht auch Krankheiten erkannt werden, die andere Organe oder Bereiche des Körpers betreffen?
Fuchs: Das stimmt. Unerkannter Diabetes kann zum Beispiel am Auge festgestellt werden oder auch Bluthochdruckerkrankungen, indem die Gefäße des Augenhintergrundes untersucht werden. Ein Besuch beim Augenarzt kann also nicht schaden.
Gibt es Augenübungen, um einer Fehlsichtigkeit vorzubeugen oder sie sogar zu therapieren?
Fuchs: Es ist auf jeden Fall empfehlenswert, mit den Augen immer mal wieder in die Ferne zu schweifen, wenn man liest oder viel am Laptop sitzt. Auch ist es sinnvoll, auf den regelmäßigen Lidschlag zu achten. Für Kinder, in deren Familien Kurzsichtigkeit stark ausgeprägt ist, gibt es Therapieansätze, bei denen die Pupillen durch eine Medikation bewusst weitgestellt werden, damit das fürs Auge anstrengende Nahfokussieren nicht mehr möglich ist, sodass sich das Auge entspannen kann. Aber dem natürlichen Prozess der Altersweitsichtigkeit kann mit Augenübungen nicht entgegengewirkt werden.
Gibt es Warnzeichen, bei denen ich schleunigst einen Augenarzt aufsuchen sollte?
Fuchs: In der Tat. Ein ganz plötzlicher, akuter Sehverlust kann zum Beispiel auf einen Gefäßverschluss hindeuten, dann sollte man sofort zum Arzt gehen. Da zählt dann wie bei einem Schlaganfall jede Minute. Aber auch Lichtblitze, schwarze Schwebeteilchen oder eine kleine Verschattung vor den Augen sollten nicht unterschätzt werden. Das können Anzeichen für ein Netzhautloch oder eine beginnende Netzhautablösung sein. Und auch bei diesen Warnzeichen sollte niemand warten, bis er beim Augenarzt einen Termin bekommt, sondern sich sofort behandeln lassen.
Gerade im Bereich der Augengesundheit gibt es viele Mythen. Klären Sie uns doch mal auf, ob diese stimmen. Schadet Lesen im Dunkeln den Augen?
Fuchs: Das ist auf Dauer nicht gut, vor allem für Kinder nicht. Helles Tageslicht und der Blick in die Ferne sind viel besser für die Ausbildung des geschärften Sehens und ein optimales Augenwachstum.
Können die Augen stehenbleiben, wenn man schielt?
Fuchs: Nein. Wenn im Spaß geschielt wird, passiert nichts. Die Augen fokussieren sich immer wieder automatisch.
Sind Karotten gut für die Augen?
Fuchs: Das Vitamin A in den Karotten ist grundsätzlich gut für den Körper, auch für die Bindezellen im Auge. Aber auch grünes Gemüse ist wichtig, vor allem für das geschärfte Sehen älterer Leute. Karotten sind also kein Wundermittel.
Kann die zu frühe Zuhilfenahme einer Brille dazu führen, dass die Sehleistung nachlässt?
Fuchs: Nein. Gerade im Bereich der Weitsichtigkeit sollten schon kleinste Schwächen durch eine Brille korrigiert werden, da sich das Auge sonst zu stark anstrengen muss.
Können Kontaktlinsen hinter das Auge rutschen?
Fuchs: Nein, das funktioniert nicht, da die Bindehautumschlagfalte ein Durchrutschen hinter den Augapfel verhindert.
Letzter Mythos: Vom Fernsehen bekommt man viereckige Augen...
Fuchs: Viereckig wohl kaum, aber vor allem Fernsehen aus der Nahdistanz tut dem Auge nicht gut.
Was sollte man seinen Augen denn auf keinen Fall antun?
Fuchs: Vor allem junge Frauen sollten mit der Anwendung von Kosmetika direkt auf der Lidkante zurückhaltender sein, da es häufig zu Reizzuständen oder sogar allergischen Reaktionen kommen kann. Kritisch stehe ich auch zu der weit verbreiteten Anwendung weicher Kontaktlinsen, wenn die empfohlene Tragedauer von sechs bis acht Stunden überschritten wird. Diese legen sich wie ein Saugnapf auf die Hornhaut und lassen wenig Sauerstoff durch. Zudem besteht durch die weichen Linsen ein höheres Risiko für die Übertragung von Keimen. Schwere Hornhautinfektionen und sogar eine Hornhautperforation können die Folge sein. Gegen einen sporadischen Einsatz für den Sport oder eine Feier ist hingegen nichts einzuwenden. Dann aber aus hygienischen Gründen besser Einweglinsen.
Und die harten Kontaktlinsen sind kein Problem?
Fuchs: Die formstabile oder auch harte Kontaktlinse schwimmt auf der Hornhautfläche und es bildet sich ein Tränenfilm, der die Sauerstoffversorgung der Hornhaut unterstützt. Auch wenn es bei der harten Kontaktlinse kurzfristig zu einem Fremdkörperreiz kommt, ist die Verträglichkeit langfristig gesehen viel besser.
Immer mehr Leute lassen sich lasern, wenn eine Fehlsichtigkeit vorliegt. Ist das ausnahmslos zu empfehlen oder bestehen dabei auch Risiken?
Fuchs: Das Augenlasern ist heute ein absolut ausgereiftes und schonendes Verfahren und vor allem für normale Kurzsichtigkeit zu empfehlen. In manchen Fällen bleiben ganz zarte Narben zurück, die maximal ein erhöhtes Fremdempfinden oder eine verstärkte Trockenheit des Auges hervorrufen. Vor allem für junge Menschen ist diese Therapieform absolut sinnvoll. Bei Menschen, die schon an Altersweitsichtigkeit leiden, bringt es wenig. Zudem sollten sich junge Frauen mit Kinderwunsch erst nach der Geburt lasern lassen, weil sich die Stärke der Fehlsichtigkeit durch die Schwangerschaft noch mal verändern kann. Massive Hornhautverkrümmungen und sehr starke Kurzsichtigkeiten lassen sich ebenfalls nur schwer lasern.
Und wann ist eine Linsenimplantation sinnvoll?
Fuchs: Zum Beispiel bei den sehr starken Kurzsichtigkeiten, von denen ich eben sprach. So etwa ab minus acht Dioptrien. Das sollte aber von Fall zu Fall entschieden werden. Oft ist eine harte Kontaktlinse mittelfristig gesehen die bessere Lösung, als sich schon in jungen Jahren von einer eigentlich gesunden, eigenen Linse zu trennen.
Frau Fuchs, kann es sein, dass Ihre Zunft der Augenärzte ausstirbt? Oder warum dauert es in der Regel Wochen, bis ich einen Termin bekomme?
Fuchs: Das ist tatsächlich ein bundeslandübergreifendes Problem. Wir suchen händeringend nach Nachwuchs. Dabei ist die Augenheilkunde ein wunderschönes Fach.