pflegerin oder ärztin hält hand auf schulter von patientin
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Selbstbestimmt sterben: Bedürfnisse kommunizieren, Bedürfnisse erkennen

Intensive Kommunikation zwischen dem Schwerstkranken und den Angehörigen, den Pflegenden und den Ärzten ist von großer Bedeutung. Nur durch einen engen Austausch können Bedürfnisse, Ängste und Sorgen ausgesprochen und berücksichtig werden. Dabei ist es wichtig, dass Ärzte und Pflegende Möglichkeiten der Symptomlinderung aufzeigen und dem Patienten die Möglichkeit zur Wahl geben. Ebenso ist es unverzichtbar, dass der kranke Mensch seine Wünsche adressiert. Eine ausgewogene Kommunikation ermöglicht einen würdigen und selbstbestimmten Weg bis zum Tod. Geduld, die Fähigkeit zuzuhören und das Wahrnehmen leiser Signale ist dabei ebenso wichtig wie der Mut, auszusprechen, was gesagt werden muss.

Bedürfnisse erkennen: Was braucht ein Palliativpatient?

Um einen anderen Menschen verstehen zu können, muss man sich in ihn hineinversetzen. Man muss sich bewusst machen, in welcher Situation sich der andere befindet und dass sich seine Wahrnehmung von der eigenen unterscheidet. Echtes Verstehen kann dann gelingen, wenn einer bereit ist, zuzuhören, wahrzunehmen und sich auf das Gegenüber einzulassen. Und wenn das Gegenüber bereit ist, etwas von sich preiszugeben und ein wenig in seine Seele blicken zu lassen.

Perspektiven verstehen, selbstbestimmt sterben

Ein Mensch, der palliativ betreut ist, ist schwerkrank und seine Erkrankung ist nicht heilbar. Er muss sich mit dem Sterben und dem Tod auseinandersetzen und den Veränderungen, die dieser Prozess mit sich bringt. Er muss sich darauf einstellen, zunehmend an Autonomie zu verlieren und Pflege zu benötigen. Er erfährt Abhängigkeiten und ist mit der eigenen Schwäche konfrontiert. Das anzunehmen und zu akzeptieren ist eine enorme Herausforderung, die verständlicherweise nicht einfach gelingt. Auch die Auseinandersetzung mit dem Sterben, dem Tod und den damit verbundenen Ängsten hat eine enorme Wucht. Die Bedürfnisse eines Palliativpatienten sind damit ganz anders als die eines Gesunden. Und immer individuell. Jeder Sterbende geht seinen eigenen, ganz persönlichen Weg.

Diesen Weg mitzugehen, ist ebenfalls eine Herausforderung. Das erfahren auch die Begleitenden. Sie sind mit Wut, Verzweiflung und anderen starken Emotionen des Sterbenden konfrontiert sowie mit ihren eigenen Gefühlen. Ebenso erleben auch sie die zunehmende Schwäche des Kranken und seine körperlichen Veränderungen, die abhängig von der Krankheit bis hin zur Entstellung reichen können. Das macht hilflos. Und manchmal dreht sich alles nur noch um die Krankheit. Hier ist es als begleitende Person wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen: Hier liegt nicht nur ein kranker Mensch, der sterben wird. Hier liegt ein Mensch, der reich an Lebenserfahrungen ist. Der einen ganz individuellen Lebensweg gegangen ist und ganz eigene Erfahrungen machen durfte. Der Wünsche, Träume und Hoffnungen hatte und immer noch hat. Der in seinem Leben so viel gegeben hat und nun selbst eine stabile Begleitung braucht. Dieses Bewusstsein hilft, dem Sterbenden offen und mit Herz zu begegnen, ihn in seiner Ganzheit zu betrachten – und die schweren Momente auszuhalten und mitzugehen. Sterbebegleitung ist nicht nur Symptomlinderung und Pflege, sondern Mitfühlen, Teilnehmen und Zuhören, was diesen Menschen beschäftigt.

Der Weg des Sterbens ist für jeden Menschen einzigartig und verschieden. So individuell das Leben, so einzigartig auch das Sterben eines Menschen.
— Marion Jettenberger: 1 x 1 der Sterbebegleitung. Am Ende wissen, wie es geht… . Manuela Kinzel Verlag. 2022.

Sterben begleiten: Warum Kommunikation so wertvoll ist

Wie genau der Schwerkranke seine finale Lebensphase empfindet, was er denkt und fühlt, wovor er sich fürchtet, was er braucht, was ihn glücklich macht – all das lässt sich nur durch den Austausch herausfinden. Das heißt: In der Sterbebegleitung sind Nachfragen, Zuhören und das Wahrnehmen nonverbaler Botschaften untrennbar mit Mitteilen, Aussprechen von Bedürfnissen und Authentizität der eigenen Person verbunden. Nur so wird selbstbestimmtes Sterben möglich. Reagiert ein Palliativ-Patient wütend und gereizt gegenüber anderen Menschen und zieht er sich zurück, hat das oftmals nichts mit dem Gegenüber direkt zu tun, sondern ist Ausdruck seiner eigenen Wut auf den Tod und seine Ängste. Er bringt sein Hadern mit der Situation zum Ausdruck. Mit Akzeptanz, Verständnis und einem offenen Ohr erreicht man als Begleitender daher mehr als mit Meiden oder Streit.

Empathie, Akzeptanz, Echtheit und ehrliches Zuhören sind die Basis für eine gute Kommunikation mit Schwerstkranken und Sterbenden. Nur so wird Vertrauen möglich. Nur so wird Hilfe möglich. Dabei ist es wichtig, die Aufmerksamkeit auf den Moment zu richten und zu schauen: Was braucht der Mensch jetzt gerade? Eine forschende/ fragende Haltung unterstützt hierbei. Auch ist es wichtig, Widersprüche zu akzeptieren – und auszuhalten. Es geht darum, das innere Wesen des Menschen zu sehen, nicht allein sein Kranksein.

Bedürfnispyramide von Palliativpatienten

In der Palliativversorgung sind die Bedürfnisse des schwerstkranken, sterbenden Menschen und seiner An- und Zugehörigen richtungsweisend für alle Maßnahmen und Entscheidungen. In Anlehnung an die Bedürfnispyramide des Menschen des US-amerikanischen Psychologen Abraham Maslow (*1908; † 1870) lässt sich eine Bedürfnispyramide Sterbender erstellen. Erst wenn den Bedürfnissen auf einer Ebene entsprochen wird, gewinnen die Bedürfnisse der Ebene darüber Bedeutung. Die körperliche Versorgung bildet die Basis der Bedürfnisse Sterbender:

  • Physiologische Bedürfnisse: Schmerzfreiheit, Ruhephasen, Atmung, Wärme, kein Durst, kein Hunger.
  • Bedürfnis nach Sicherheit: Unterstützung, Betreuung, Hilfsangebote, Behaglichkeit, Schutz, Frieden.
  • Soziale Bedürfnisse: Wunsch nach Zuwendung, Liebe, Empathie, Verständnis, Trost, Annahme, Verständnis, Zuwendung, Zugehörigkeit.
  • Bedürfnis nach Wertschätzung: Anerkennung der Individualität und Unabhängigkeit, Wertschätzung der Bedürfnisse, Gewohnheiten beibehalten dürfen.
  • Bedürfnis nach Selbstverwirklichung: Wunsch nach Ruhe, Harmonie, Rückzug, Sinnfindung, spirituelle Aspekte, letzte Angelegenheiten regeln.

Selbstbestimmt sterben: Grundlagen der Palliativbegleitung

Die Berücksichtigung der Bedürfnisse Sterbender und ihrer Angehörigen ist die Voraussetzung für selbstbestimmtes Sterben. Die vier Säulen der palliativen Versorgung berücksichtigen diese Bedürfnisse:

  1. Palliative Medizin: Symptomkontrolle, etwa schmerzlindernde Therapien.
  2. Palliative Pflege: pflegerische Maßnahmen und Beratung.
  3. Psychosoziale Begleitung: emotionale Unterstützung durch Zuwendung und Begleitung.
  4. Spirituelle Begleitung: Sinnfrage, Klärung letzter unerledigter Dinge.

Sind die Bedürfnisse erfüllt, kann trotz schwerer Krankheit das Leben als lebenswert erfahren werden. Bedürfnisse Sterbender zu erkennen, ist nicht immer einfach. Vielfach können sie sich nicht mehr deutlich mitteilen. Dann kommt nonverbalen Signalen ein großer Stellenwert zu. Manchmal sind die Mitteilungen auch verschlüsselt und werden in Symbolen ausgedrückt.

Selbstbestimmt Sterben: Wege der Vorsorge

Nicht immer ist es möglich, im fortgeschrittenen Krankheitsstadium Bedürfnisse zu kommunizieren. Daher ist es ratsam, in Zeiten, in denen es dem Kranken noch gut geht, Vorsorge zu treffen, um selbstbestimmt sterben zu können. Es gibt drei wichtige Maßnahmen zur Vorsorge:

  • Patientenverfügung
  • Betreuungsvollmacht
  • Vorsorgevollmacht

Was ist eine Patientenverfügung?

In der Patientenverfügung hält ein Mensch schriftlich fest, welche medizinischen Maßnahmen durchzuführen oder zu unterlassen sind, wenn er selbst nicht mehr in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen. Eine Patientenverfügung stellt sicher, dass der Patientenwille umgesetzt wird, wenn er nicht mehr geäußert werden kann. Unterstützung bietet die Informationsbroschüre „Patientenverfügung“ des Bundesministeriums der Justiz (PDF) sowie das Online-Tool „Patientenverfügung“ der Verbraucherzentrale. Eine Orientierung bieten zudem die „Textbausteine für eine schriftliche Patientenverfügung“ des Bundesministeriums für Justiz. Ärzte, Palliativ-Teams und ehrenamtliche Sterbebegleiter können ebenfalls Ansprechpartner zum Thema Patientenverfügung und Vorsorge sein.

Lesetipp: Alles rund um die Patientenverfügung.

Was ist eine Vorsorgevollmacht?

Mit einer Vorsorgevollmacht bestimmt der Vollmachtgeber (der Patient) eine oder mehrere Personen, die für ihn entscheiden sollen, falls er nicht mehr selbst in der Lage ist. Jede volljährige Vertrauensperson kann in der Vorsorgevollmacht berücksichtigt werden. Wichtig ist, dass sich beide Seiten ausführlich über Wünsche und Bereiche der Vollmacht einigen und dies schriftlich festhalten. Das Bundesministerium der Justiz bietet auf seiner Webseite ein Formular „Vorsorgevollmacht“ an.

Wichtig: Die Vorsorgevollmacht wird nur gültig, wenn beide Seiten unterschrieben haben. Und: Der Bevollmächtigte kann nur dann Entscheidungen treffen, wenn er das Originalformular besitzt. Zudem sollte man eine Vollmacht beglaubigen lassen.

Was ist ein Vorsorgeregister?

Im Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer kann man gegen eine Gebühr vermerken lassen, dass es eine Vollmacht gibt. Gerichte können diese dann abfragen.

Was ist eine Betreuungsverfügung?

Eine Betreuungsverfügung empfiehlt sich dann, wenn man eine neutrale, gerichtliche Kontrolle bei der Regelung der Angelegenheiten wünscht oder keine Vertrauensperson hat, der man die Vollmacht (also die Macht über alle Angelegenheiten wie Immobilien, Bankgeschäfte und so weiter) geben kann. Das Gericht bestimmt im Bedarfsfall eine Betreuungsperson (die man zuvor nennen darf). Diese übernimmt dann in bestimmten Angelegenheiten die Betreuung, muss vor dem Betreuungsgericht aber regelmäßig Nachweise erbringen. Entscheidungen werden mit dem Gericht abgestimmt. Das Bundesministerium der Justiz bietet auf seiner Webseite ein Formular „Betreuungsverfügung“ an.

Angst kommt in der Sterbebegleitung eine bedeutende Rolle zu. Für viele Menschen ist Sterben mit vielen Ängsten verbunden: Angst vor dem Sterben, Angst vor dem Tod, Angst vor Schmerzen, Angst vor Atemnot und Ersticken, Angst vor Abhängigkeiten, Angst um die zurückbleibende Familie… Nähe und Zuwendung ermöglichen es, über Ängste zu sprechen und gemeinsam zu schauen, was man tun kann. Angstgefühle können mit Nähe und Zuwendung verbessert werden. Ebenfalls tun häufig beispielsweise Entspannung, Massagen, Aromaöl-Therapie, Musiktherapie und Ähnliches den Schwerstkranken gut, um Angstgefühle zu lindern.
Die Angst vor Schmerzen ist eine der häufigsten Ängste Sterbender. Die Palliativmedizin ist so gut aufgestellt, dass Schmerzen sehr gut gelindert werden und häufig Schmerzfreiheit erreicht wird. Diese Angst kann man Patienten in der Regel nehmen. Eine gute Aufklärung von Seiten des Palliativ-Teams und der Palliativärzte über den Einsatz möglicher schmerzlindernder Medikamente wie Opioide ist unverzichtbar.
Neben der Angst vor Schmerzen fürchten viele Schwerstkranke Atemnot und Ersticken. In der Regel kann die Ursache für Atemnot behandelt werden. So kann Sauerstoff die Atmung erleichtern, die Gabe von Kortison Entzündungen der Bronchien sowie Verkrampfungen der Atemmuskulatur lösen. Ist ein Pleuraerguss die Ursache, kann eine Thoraxdrainage helfen, bei der der Erguss abgelassen wird. Manchmal lindern bereits einfache Maßnahmen wie eine erhöhte Position des Oberkörpers, eine gute Durchlüftung des Zimmers oder ein angenehmer Geruch im Zimmer das Befinden der Patienten deutlich. Auch Opioide können bei Ängsten und Atembeschwerden eingesetzt werden und Kurzatmigkeit lindern.

Quellen:

Marion Jettenberger: 1 x 1 der Sterbebegleitung. Am Ende wissen, wie es geht… . Manuela Kinzel Verlag. 2022.

bmj.de: „Formular Betreuungsverfügung“. Online-Information des Bundesministeriums der Justiz.

bmj.de: „Formular Vorsorgevollmacht“. Online-Information des Bundesministeriums der Justiz.

bmj.de: „Patientenverfügung“. Online-Information (PDF) des Bundesministeriums der Justiz.

verbraucherzentrale.de: „Selbstbestimmt – Patientenverfügung online erstellen und vorsorgen“. Online-Information der Verbraucherzentrale.

bundesgesundheitsministerium.de: „Patientenverfügung“. Online-Information des Bundesministeriums für Gesundheit.

lpb-bw.de: „Die Maslowsche Bedürfnispyramide. Motivation und Bedürfnisse des Menschen“. Online-Information PDF) der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.

dgpalliativmedizin.de: „Zur Begleitung beim freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken (FVET)“. Handreichung (PDF) der Sektion Ernährung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin.

Thomas Altmeppen: Studienheft „Rechtliche Fragen und Aspekte“. Lernheft 8 des Fernstudiengangs „Palliativbegleitung“  der Fernschule SGD.

buergerliches-gesetzbuch.info: „§ 1901a BGB Patientenverfügung“. Online-Information Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

msdmanuals.com: „Linderung der Symptome für den sterbenden Patienten“. Online-Information vom MSD Manual. Ausgabe für medizinische Fachkreise.

Disclaimer: Dieser Text enthält nur allgemeine Hinweise und ist nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung geeignet. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Alle individuellen Fragen, die Sie zu Ihrer Erkrankung oder Therapie haben, besprechen Sie mit Ihrem behandelnden Arzt.
AL
Ann-Kathrin Landzettel
Autor/-in
Ann-Kathrin Landzettel M. A. ist Gesundheitsjournalistin aus Leidenschaft. Vor allem zwei Fragen treiben die geprüfte Gesundheits- und Präventionsberaterin an: Wie können wir lange gesund bleiben – und wie im Krankheitsfall wieder gesund werden? Antworten findet sie unter anderem im intensiven Austausch mit Ärztinnen und Ärzten sowie in persönlichen Gesprächen mit Patientinnen und Patienten. Seit fast zehn Jahren gibt sie dieses Wissen rund um Gesundheit, Medizin, Ernährung und Fitness an ihre Leserinnen und Leser weiter.
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