Selbsthilfe bei Depression: "Manche Selbsthilfegruppen treffen sich zum gemeinsamen Jammern"
Gelbe Seiten:
Nicole Altenburg: Grundsätzlich empfehle ich Selbsthilfe immer. Denn oft führen unterschiedliche Ansätze erst in der Summe zum Erfolg. Durch Selbsthilfemaßnahmen bekommen Depressionspatienten die Kontrolle zurück, die sie durch den Zustand der Hilflosigkeit und Passivität weitgehend verloren haben.
Ich selbst habe das noch nie erlebt. Die Maßnahmen können sich eher sinnvoll ergänzen. Konflikte müsste man dann gegebenenfalls klären.
Auf jeden Fall. Bewegung ist bei fast allen Patienten dazu geeignet, die Stimmung aufzuhellen. Alkohol scheint für viele Depressionspatienten ein Mittel zur "Eigenbehandlung" zu sein, um die depressive Seite in sich zu kompensieren – er ist aber keineswegs dafür geeignet. Denn langfristig führt Alkohol oft zu einer Verschlimmerung der Symptome. Andere stürzen sich in Arbeit oder versuchen, sich auf andere Weise abzulenken.
Sport ist auch der falsche Ausdruck, es geht vielmehr um das Thema Bewegung und Aktivität. Es gibt zwar echte Lauftherapien, wo es ums sportliche Laufen geht, aber das ist nur eine Möglichkeit. Wichtig ist, positive Aktivitäten anzugehen, also solche, die Patienten mit einer großen Wahrscheinlichkeit auch wiederholen. Und das kann auch leichte Bewegung an der frischen Luft sein, Gartenarbeit, kreative Hobbys, Schwimmen, Yoga oder Achtsamkeitsübungen.
Das ist auf jeden Fall ratsam, so etwas wird auch in Kliniken gern angewandt. Es hilft, eine Tagesstruktur aufzubauen.
Tiere sind für sehr viele Patienten hilfreich. Hunde verhelfen zu Spaziergängen, Katzen erfüllen vielleicht ein Kuschelbedürfnis. Für manche Patienten bedeutet ein Haustier aber auch zusätzlichen Stress durch die Verantwortung. Mal ganz abgesehen von Allergikern oder Tierphobikern.
Wenn ein Patient denkt, aufgrund einer Trennung oder eines Verlustes den Sinn des Lebens verloren zu haben, ist das eine gute Möglichkeit, denn anderen Personen zu helfen, verbessert nachweislich die Stimmung der meisten Menschen. Wenn jedoch der Erkrankte aufgrund eines Helfersyndroms depressiv geworden ist, dann ist weitere aufopfernde Hilfe keine Lösung. Denn dann findet er dort den besten Nährboden vor, um seine Depression weiter zu kultivieren.
Das Pflegen und der Aufbau sozialer Kontakte sind sehr gut, wobei die meisten schwer depressiven Patienten das ohne fremde Hilfe gar nicht mehr hinbekommen. In diesem Fall ist Selbsthilfe leichter gesagt als getan.
Also gesunde Ernährung ist immer empfehlenswert, aber die allein wird die Depression nicht besiegen können. Viele Patienten haben durch die Depression Probleme mit ihrem Essverhalten und können diese nicht einfach so ablegen. Als pflanzliche Medikation oder Nahrungsergänzungsmittel können Johanniskraut, Tryptophan (5HTP) oder Vitamin D helfen, doch ich empfehle meinen Patienten, das nicht über die Sommermonate einzunehmen, da dadurch die Lichtempfindlichkeit steigt. Dennoch sind Produkte aus der Apotheke bei einigen Depressionen durchaus hilfreich. Bestimmte Pflanzenstoffe schlagen bei einigen Menschen gut an. Frauen sollten bei einer Schwangerschafts- oder postpartalen Depression allerdings nicht auf diese zurückgreifen, da gibt es Kontra-Indikationen.
Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Es gibt Patienten, die von sich aus sagen, dass sie Gespräche in solchen Gruppen "noch mehr runterziehen". Und dann kommt es auch immer darauf an, um was für eine Selbsthilfegruppe es sich handelt. Eine gute Gruppe stellt sich zu Beginn der Sitzung ein Ziel, das verfolgt und in den weiteren Sitzungen dann auch zusammen reflektiert wird. Es gibt aber auch Gruppen, die treffen sich zum gemeinsamen Jammern. Auch hier sind besonders Patienten mit einem Helfersyndrom fehl am Platz. Wir haben jedoch glücklicherweise sehr viele sehr gute Selbsthilfegruppen, die man im Selbsthilfe-Wegweiser (regionale Angebote für die Suche nach Selbsthilfegruppen in der Nähe, Anm. d. Red.) finden kann.
Das ist individuell verschieden. Es gibt Patienten, die sich allein schon aufgrund ihres "Outingsׅ" besser fühlen. Der Zwang, die Depression geheim zu halten, hat bei diesen Personen zuvor sehr viel Stress verursacht. Depressionskranke, die an einem Burnout leiden, werden von der Öffentlichkeit beispielsweise nicht als faul eingestuft, das macht eine Öffnung nach außen schon einfacher. In anderen Fällen kann es aber auch hinderlich sein.