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Depression und Hormone: Verursacht Serotonin-Mangel Depressionen?

Serotonin ist ein Botenstoff, der den Austausch zwischen den Gehirnzellen unterstützt. Zu wenig Serotonin beziehungsweise ein Ungleichgewicht im Hormonhaushalt erhöht das Risiko für Depressionen – so eine Theorie zur Entstehung der psychischen Erkrankung. Doch es gibt Experten, die dieser Annahme zunehmend kritisch gegenüberstehen.

Was sind Depressionen?

Depressionen sind psychische Störungen, die durch einen anhaltenden Zustand deutlich gedrückter Stimmung, Interesse- und Freudlosigkeit sowie Antriebsminderung, Schlafstörungen und Erschöpfung gekennzeichnet sind. Angaben der Berufsverbände für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland zufolge hegt die Mehrheit der Betroffenen früher oder später Suizidgedanken. 10 bis 15 Prozent aller Patienten mit wiederkehrenden, schwer ausgeprägten depressiven Phasen sterben durch Suizid.

Das Risiko, im Laufe des Lebens an einer Depression zu erkranken, liegt national wie international bei 16 bis 20 Prozent – so die Leitlinie „Unipolare Depression“ der Bundesärztekammer, der Kassenärztliche Bundesvereinigung sowie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Depressionen können in jedem Lebensalter auftreten. Menschen ohne enge Bezugspersonen erkranken in einer belastenden Lebensphase häufiger an Depressionen als Menschen mit einem sozialen Auffangnetz. Neben genetischen Faktoren werden unter anderem Stoffwechselstörungen und hormonelle Umstellungen als Auslöser angenommen. Ebenso wird ein Ungleichgewicht beziehungsweise ein Mangel an bestimmten Botenstoffen im Gehirn als Ursache vermutet. Antidepressiva sollen helfen, den Mangel an Botenstoffen im Gehirn, darunter Serotonin, auszugleichen. Psychotherapie und die Gabe von Medikamenten sind zwei wichtige Säulen der Behandlung von Depressionen.

Welcher Arzt hilft bei Verdacht auf eine Depression?

Anhaltende Niedergeschlagenheit, mangelnde Motivation, tiefe Traurigkeit, das Gefühl von Sinnlosigkeit, der Verlust an Lebensfreude und im schlimmsten Fall Suizidgedanken: Bei Verdacht auf eine Depression ist eine ärztliche Behandlung dringend notwendig. Betroffene sollten sich an ihren Hausarzt oder ihre Hausärztin wenden. Dieser oder diese kann bei Bedarf an einen Facharzt überweisen, etwa an einen Psychiater oder Neurologen oder den Kontakt zu einem Psychotherapeuten herstellen. Bei einer schweren Depression mit Selbstmordgedanken sollten Betroffene oder Angehörige den Rettungsdienst unter 112 anrufen oder die Notaufnahme einer psychiatrischen Klinik kontaktieren.

Depressionen durch Serotoninmangel?

Ein Ungleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn wird als eine Ursache von Depressionen vermutet. Serotonin ist solch ein Botenstoff, der Informationen zwischen den Zellen im Gehirn austauscht. Die sogenannte Serotonin-Hypothese besagt: Gibt es zu wenig Serotonin im Gehirn, funktioniert der Austausch unter den Gehirnzellen nicht richtig und Depressionen können entstehen. Aus diesem Grund erhöhen fast alle verordneten Antidepressiva den Serotoninspiegel im Gehirn. Ein Serotoninmangel als Ursache einer Depression – viele Ärzte unterstützen diese Theorie. Auch die Berufsverbände für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland beschreiben auf Ihrer Webseite Stoffwechsel- und Funktionsstörungen im Gehirn als einen möglichen Faktor bei der Entstehung von Depressionen:

„Viele Untersuchungen deuten darauf hin, dass Depressionen durch typische Veränderungen von Botenstoffen im Gehirn gekennzeichnet sind. Dabei scheinen bestimmte Botenstoffe (so genannte Neurotransmitter wie Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, Acetylcholin, Gamma-Aminobuttersäure) aus dem Gleichgewicht geraten zu sein. Depressive Patienten weisen im Vergleich zu Gesunden oft eine erniedrigte Aktivität von Serotonin, Noradrenalin oder Dopamin auf.“

Und weiter:

„Diese Annahme wird durch den generellen Wirkmechanismus einer bestimmten Medikamentengruppe, der so genannten „Antidepressiva“, gestützt. Diese Wirkstoffe sorgen für eine Erhöhung bestimmter Botenstoffe im neuronalen System und helfen, die Symptome einer Depression zu mindern bzw. sie zu unterdrücken. Antidepressiva sind jedoch nicht bei allen Patienten wirksam. Vermutlich gibt es individuelle Unterschiede in der Ausprägung der Neurotransmitter-Störungen.“

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Antidepressiva: Von einigen Experten kritisch eingeschätzt

Während eine Vielzahl verschiedener Experten eine Gabe von Antidepressiva bei Depressionen unterstützen, gibt es auch Institutionen und Kliniken, welche die klinische Bedeutung von Antidepressiva infrage stellen. Beispielsweise das Zentrum für seelische Gesundheit Marienheide bei Gummersbach, welches in der Dokumentation „Wem helfen Antidepressiva“ des Senders WDR sein Behandlungskonzept gegen Depressionen vorstellt. Auf einer Station werden seit fast fünf Jahren keine Antidepressiva mehr empfohlen – selbst bei schweren Depressionen nicht. Der leitende Psychologe Prof. Dr. Reinhard Maß ist davon überzeugt, dass Depressionen allein durch belastende Lebensereignisse ausgelöst werden. Abgestimmt auf diese Ereignisse erstellt der Psychologe den Behandlungsplan. 

Einig scheint sich die Expertenwelt in folgenden Punkten zu sein: Eine allein auf medikamentösen Ansätzen beruhende Behandlung ist nicht ausreichend. Bei einer Depression sollte eine Psychotherapie die Behandlung begleiten. Und gerade bei den leichten Depressionen sollte man nicht vorrangig medikamentös behandeln.

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Wie stehen Betroffene zu Antidepressiva?

Auch unter den Betroffenen gibt es unterschiedliche Meinungen. Während die einen von der stabilisierenden und unterstützenden Wirkung überzeugt sind, berichten andere von schweren Nebenwirkungen während der Einnahme von Antidepressiva. Wichtig zu wissen ist: Eine Depression ist eine Erkrankung, bei der es nicht den EINEN Behandlungsweg gibt. Um herauszufinden, welche Therapie bei welchem Patienten hilft und ob eine Behandlung ohne die Gabe von Medikamenten erwogen werden kann, ist ein ehrlicher und regelmäßiger Austausch mit dem behandelnden Arzt oder der Ärztin notwendig.

Im Verlauf der Therapie kann gegebenenfalls die Behandlung angepasst, ein neues Medikament versucht, die Dosis verändert oder ein Medikament abgesetzt werden. Mögliche Nebenwirkungen solcher Mittel sollten vor der Einnahme besprochen werden, sodass Betroffene entscheiden können, ob sie Antidepressiva gegenüber offen sind oder die Behandlung ohne eine Einnahme durchführen möchten.

Antidepressiva nicht einfach absetzen

Beim Absetzen von Antidepressiva können Absetzsymptome auftreten, die den Symptomen einer Depression ähneln. Um diese sowie andere Beschwerden wie Schwindel, Übelkeit und Schlafstörungen zu minimieren, sollten Antidepressiva ausgeschlichen werden. Das heißt: Die Dosierung wird über einen längeren Zeitraum hinweg langsam reduziert, bis das Medikament schließlich ganz abgesetzt werden kann. Keinesfalls sollten Antidepressiva eigenmächtig und ohne ärztliche Begleitung von einem Tag auf den anderen abgesetzt werden.

Serotonin, auch 5-Hydroxytryptamin (5-HT) oder Enteramin genannt, ist ein Gewebshormon und Neurotransmitter. Es entsteht aus der Aminosäure Tryptophan und ist für den Informationsfluss zwischen den Zellen zuständig. Serotonin findet sich unter anderem im Gehirn, im Rückenmark, im Blut, im Darm und im Herz-Kreislauf-System. Die größte Menge des Botenstoffs wird im Darm gebildet, genauer: in den enterochromaffinen Zellen.
Was macht Serotonin? Mit Hilfe von Rezeptoren kann Serotonin an verschiedene Zellen andocken und so bestimmte Körperreaktionen beeinflussen. Serotonin wirkt unter anderem beruhigend und hemmt Aggressionen, Gereiztheit und Impulsivität. Serotonin nimmt Einfluss auf: Stimmung/ Gefühle, Antrieb/ Motivation, Gedächtnis, zentrales Belohnungssystem, Appetit, Körpertemperatur, Schlaf-Wach-Rhythmus, Schmerzwahrnehmung, Darmaktivität, Blutgefäße (Blutdruckregulierung), Bronchien, Blutgerinnung.
SSRI ist die Abkürzung für Selektive Serotonin-Wiederaufnahme Inhibitoren. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, wie SSRI auch genannt werden, sind eine Klasse von Antidepressiva. Sie blockieren Serotonintransporter und erhöhen so die Konzentration von Serotonin in der Gewebsflüssigkeit des Gehirns.

Quellen:

leitlinien.de: „NVL Unipolare Depression (2022)“. Nationale Versorgungsleitlinie der Bundesärztekammer, der Kassenärztliche Bundesvereinigung sowie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. AWMF-Register-Nr. Nvl-005. 2022.

awmf.org: „Depression. Psychotherapie und Antidepressiva: Was sind Vor- und Nachteile?“. Nationale Versorgungsleitlinien. Informationen für Patientinnen und Patienten. AWMF-Registernr. nvl-005.

youtube.com: „Wem helfen Antidepressiva?“. Online-Video des WDR auf Youtube.

neurologen-und-psychiater-im-netz.org: „Was ist eine Depression?“. Online-Information der Berufsverbände für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

neurologen-und-psychiater-im-netz.org: „Ursachen einer Depression“. Online-Information der Berufsverbände für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

gesundheitsinformation.de: „Depression. Behandlungsmöglichkeiten bei einer Depression“. Online-Information des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

flexikondocchec.com: „Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer“. Online-Information von DocCheck Flexikon.

Disclaimer: Dieser Text enthält nur allgemeine Hinweise und ist nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung geeignet. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Alle individuellen Fragen, die Sie zu Ihrer Erkrankung oder Therapie haben, besprechen Sie mit Ihrem behandelnden Arzt.
AL
Ann-Kathrin Landzettel
Autor/-in
Ann-Kathrin Landzettel M. A. ist Gesundheitsjournalistin aus Leidenschaft. Vor allem zwei Fragen treiben die geprüfte Gesundheits- und Präventionsberaterin an: Wie können wir lange gesund bleiben – und wie im Krankheitsfall wieder gesund werden? Antworten findet sie unter anderem im intensiven Austausch mit Ärztinnen und Ärzten sowie in persönlichen Gesprächen mit Patientinnen und Patienten. Seit fast zehn Jahren gibt sie dieses Wissen rund um Gesundheit, Medizin, Ernährung und Fitness an ihre Leserinnen und Leser weiter.
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