Ratgeber: Legasthenie – was ist das?
Definition: Was ist Legasthenie?
Der Begriff Legasthenie beschreibt eine Beeinträchtigung der Lese- und Rechtschreibfähigkeit. Betroffenen fällt das Erlernen von Lesen und Schreiben schwer. Buchstaben, Silben, Wörter und Sätze: Für Legastheniker sind sie nur schwer zu unterscheiden und zu lernen. Zudem fällt es Legastheniker:innen schwer, die gesprochene Sprache in die geschriebene umzuwandeln – und umgekehrt. Expert:inen sprechen von einer spezifischen Lernstörung. Lese- und Rechtschreibstörung können gemeinsam, aber auch einzeln auftreten. Synonym zu Legasthenie werden auch die Begriffe Lese-Rechtschreibstörung (LRS), Schreib-Lesestörung sowie spezielle Lese-Rechtschreibschwäche verwendet. Ein weiterer Bereich des Lernens, der bei Kindern mit Legasthenie möglicherweise beeinträchtigt sein kann, ist Rechnen. Dann sprechen Experten von Dyskalkulie.
Wie häufig ist Legasthenie in Deutschland?
Angaben des Bundesverbands Legasthenie & Dyskalkulie e. V. (BVL) zufolge ist in Deutschland etwa jeder 30. von Legasthenie betroffen – Jungen häufiger als Mädchen. Als Ursachen einer Legasthenie spielen verschiedene Faktoren zusammen:
- Genetik: Hat ein Elternteil Legasthenie, ist beim Kind das Risiko erhöht, ebenfalls eine Lese-Rechtschreibstörung zu entwickeln.
- Neurobiologie: Forschungsergebnisse unterstützen die Annahme, dass bei Menschen mit Legasthenie bestimmte Prozesse im Gehirn anders ablaufen als bei Menschen ohne Legasthenie, etwa die Verarbeitung von Sprache.
- Kognition: Veränderte neurobiologische Prozesse von Menschen mit Legasthenie beeinflussen zudem Denk- und Wahrnehmungsprozesse. So tun sich Legastheniker:innen oftmals schwer, sich länger auf eine Sache zu konzentrieren und aufmerksam zu bleiben. Auch kann die visuelle und akustische Wahrnehmung anders sein als bei Menschen ohne Legasthenie.
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Legasthenie-Definition: die drei Formen von Lese- und Schreibstörungen
Es werden drei Formen von Lese- und Schreibstörungen unterschieden:
LESE- UND RECHTSCHREIBSTÖRUNG (LRS): Bei der Lese- und Rechtschreibstörung, auch Legasthenie genannt, ist die Entwicklung der Lese- und Rechtschreibfähigkeiten deutlich beeinträchtigt. Daher der Begriff Lese-Rechtsschreibstörung. Hauptmerkmale der Lesestörung sind Schwierigkeiten beim Leseverständnis. Betroffenen fällt es schwer, geschriebene Worte wiederzuerkennen, vorzulesen und zu verstehen. Die Lesestörung betrifft dabei nicht nur das Fach Deutsch, sondern alle Bereiche im Leben, die Lesefähigkeiten erfordern. Bei einer Rechtschreibstörung haben Betroffene Defizite beim Schreibenlernen. Beispielsweise schreiben sie dasselbe Wort oft unterschiedlich, da sie die richtige Schreibweise nicht verinnerlichen. Ebenso haben sie mit der Groß- und Kleinschreibung sowie der Zeichensetzung Probleme.
ISOLIERTE RECHTSCHREIBSTÖRUNG: Bei der isolierten Rechtschreibstörung sind Buchstabieren sowie die korrekte Wortschreibung beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigung tritt isoliert auf. Es bestehen keine Probleme beim Lesen.
ISOLIERTE LESESTÖRUNG: Bei der isolierten Lesestörung haben betroffene Kinder Probleme beim Lesen. Es sind keine deutlichen Schwierigkeiten bei der Rechtschreibung feststellbar.
Wie man heute weiß, haben Jungen häufiger eine Rechtschreibstörung als Mädchen. Eine Lesestörung kommt bei Jungen und Mädchen gleich häufig vor. Eine Lese-Rechtschreibstörung haben Jungen häufiger als Mädchen.
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LRS beim Kind erkennen: Was sind typische Fehler bei Legasthenie?
Eine Lernstörung im Lesen und Schreiben kann sich beim Kind auf verschiedene Weise zeigen. Bei einer Lesestörung lesen Kinder langsam und machen dabei viele Fehler. Sie zögern lange, bis sie mit dem Vorlesen beginnen, starten oft mit dem ersten Buchstaben und versuchen dann, das Wort zu erraten. Gelesene Wörter ergeben für das Kind oft keinen Sinn. Immer wieder werden Buchstaben, Silben oder Wörter ausgelassen oder hinzugefügt oder Wortteile vertauscht. Zudem hat das Kind Schwierigkeiten zu verstehen, was es gelesen hat. Es kann den Inhalt des Gelesenen nicht wiedergeben. Ist der zu lesende Text in einer kleinen Schrift verfasst, verstärken sich die Leseprobleme. Das Kind braucht deutlich mehr Zeit zum Lesen. Vorlesen ist für das Kind mit deutlichem Stress verbunden, was in der Regel dazu führt, dass es ein entsprechendes Vermeidungsverhalten entwickelt.
Bei einer Rechtschreibstörung schreiben Kinder Wörter längere Zeit noch falsch, auch wenn sie diese bereits gelernt und öfter geschrieben haben. Buchstaben werden ausgelassen, vertauscht oder hinzugefügt. Oft schreibt das Kind Buchstaben, die ganz anders klingen als das zu schreibende Wort. Außerdem tun sich Kinder mit Legasthenie schwer, Rechtschreibregeln, etwa die Groß- und Kleinschreibung oder Zeichensetzung, zu lernen und richtig umzusetzen. Es kommt zu hohen Fehlerzahlen bei Diktaten und beim Abschreiben von Texten. Ein weiterer Hinweis ist eine unleserliche Handschrift. Schreiben ist mit Stress verbunden. Beim Erledigen von Hausaufgaben kommt es oft zum Streit zwischen Eltern und Kind. Das Kind fühlt sich mit den Aufgaben überfordert.
Verdacht auf Lese-Rechtschreibstörung: Was tun bei Legasthenie?
Kinder mit Legasthenie brauchen Unterstützung, um ihre Fertigkeiten im Lesen und Schreiben zu verbessern. Bemerken Eltern anhaltende Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, ist es zunächst sinnvoll, mit den Lehrer:innen ins Gespräch zu gehen und zu erfragen, was ihnen aufgefallen ist und wie sie die Lernsituation des Kindes einschätzen. Der schulpsychologische Dienst kann unterstützend hinzugezogen werden. Möglich ist auch, auf LRS-Ansprechpartner in der Schule zuzugehen oder an eine in der Lese-, Rechtschreib- oder Rechendiagnostik ausgebildete Lehrkraft.
Legasthenie erkennen: Welcher Arzt kann Legasthenie diagnostizieren?
Verhärtet sich der Legasthenie-Verdacht, sollten Eltern kinderärztlichen Rat einholen. Nach ersten Untersuchungen werden sie mit ihrem Kind an entsprechende Fachstellen überwiesen. So können Fachärzt:innen für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder Kinderärzt:innen mit der Zusatzausbildung Sozialpädiatrie und Kinderpsychologie feststellen, ob es sich um eine spezifische Lernstörung handelt. Die Untersuchungen, darunter körperliche Untersuchungen wie Augen- und Hörtests, Intelligenztests, spezielle Lese- und Rechtschreibtests sowie Rechentests, können in einer ärztlichen Praxis oder in einem sozialpädiatrischen Zentrum durchgeführt werden.
Ist Legasthenie heilbar?
Heilbar ist Legasthenie nicht. Eine frühzeitige und gezielte Therapie kann jedoch helfen, die Ausprägung der Lese-Rechtschreibstörung durch Übung deutlich zu verbessern und den Verlauf positiv zu beeinflussen. Von einer Legasthenie-Therapie profitieren nicht nur Kinder. Auch Erwachsene können die LRS durch eine auf sie abgestimmte Behandlung verbessern.
Wie wird Legasthenie therapiert? Integrative Lerntherapie hilft
Im Rahmen einer Lerntherapie können Kinder mit einer Lernstörung gefördert werden. Mit Hilfe von regelmäßigen Therapiestunden mit gezielten Lese- und Rechtschreibübungen lassen sich Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten verbessern. Das Training wird in Gruppen oder in Form einer Einzel-Lerntherapie durchgeführt. Wie häufig und für welchen Zeitraum das Kind an einer integrativen Lerntherapie teilnimmt, ist abhängig vom Ausmaß der Entwicklungsstörung, dem individuellen Lernverhalten und den Fortschritten, die das Kind mit Hilfe der Legasthenie-Therapie macht. Im Schnitt planen LRS-Therapeuten zwei bis drei Jahre für eine Legasthenie-Therapie ein.
Tipp: Eltern sollten sich über Unterstützungsmöglichkeiten wie Lernförderung und finanzielle Fördermöglichkeiten informieren. So besteht unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, beim örtlichen Jugendamt einen Antrag auf „Eingliederungshilfe“ zu stellen. Das Jugendamt übernimmt dann einen Teil der Kosten für die Legasthenie-Therapie. Auch bieten viele Schulen Förderunterricht an. Ebenso können Kinder durch Nachteilsausgleich und Notenschutz entlastet werden.
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Unterstützung für Legastheniker: individueller Nachteilsausgleich
In Schule, Ausbildung und der Universität kann ein individueller Nachteilsausgleich eingefordert werden. Das bedeutet, dass die Einschränkungen bei der Leistungsbeurteilung oder in Prüfungssituationen berücksichtigt werden. So können beispielsweise mündliche Prüfungen statt schriftlicher ermöglicht werden. Oder Betroffene bekommen mehr Zeit für die Prüfung. Auch die Verwendung von Nachschlagewerken und Wörterbüchern im Unterricht kann eine Option darstellen.
In der Schule ist auch ein Notenausgleich, auch Notenschutz genannt, möglich. Dann werden Lesefertigkeiten und die Rechtschreibung nicht für die Benotung herangezogen. Die Unterstützungsmöglichkeiten variieren in den verschiedenen Bundesländern. Wie das Kind in der Schule die beste Unterstützung findet, beraten die Eltern gemeinsam mit den Lehrkräften. In der weiteren Schullaufbahn, im Studium, in der Ausbildung oder im Beruf können unter anderem Rechtschreibkorrekturprogramme, Vorlese- und Diktiersoftware, eine Anpassung von Prüfungssituationen – etwa ein separater Raum, Zeitverlängerungen oder eine mündliche statt eine schriftliche Prüfung unterstützen.
In den weiterführenden Artikeln des Ratgebers „Legasthenie“ von Gelbe Seiten finden Sie ausführliche Informationen zur Ursachen, Symptomen, Diagnose & Behandlung der Lese-Rechtschreibstörung.
FAQS
Quellen:
awmf.org: „Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und / oder Rechtschreibstörung“. S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP). AWMF-Registernummer 028-044.
bvl-legasthenie.de: „Was tun bei Verdacht auf Legasthenie?“. Online-Information des Bundesverbands Legasthenie & Dyskalkulie e.V.
bvl-legasthenie.de: „Die Landesverbände. Legasthenie & Dyskalkulie“. Online-Information des Bundesverbands Legasthenie & Dyskalkulie e.V.
bvl-legasthenie.de: „Fragen & Antworten zu Legasthenie & Dyskalkulie.“ Online-Information des Bundesverbands Legasthenie & Dyskalkulie e.V.
legasthenieverband.org: „Fragen & Antworten. Was ist Legasthenie?“. Online-Information des Dachverbands Legasthenie Deutschland e. V. (DVLD).
gesund.bund.de: „ICD-Code. F81.0: Lese-Rechtschreibstörung“. Online-Information des Bundesministeriums für Gesundheit.
gesund.bund.de: „ICD-Code. F81.1: Isolierte Rechtschreibstörung“. Online-Information des Bundesministeriums für Gesundheit.
baer.bayern.de: „Legasthenie – Lese- und Rechtschreibschwäche“. Online-Information von Bayerischer Erziehungsratgeber.
neurologen-und-psychiater-im-netz.de: „Was ist eine Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie)?“. Online-Information der Berufsverbände für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.
augeninfo.de: „Legasthenie (Lese-Rechtschreibstörung)“. Informationsbroschüre (PDF) des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands e. V. (BVA).
uni-wuerzburg.de: „Legasthenie: Neues Gen identifiziert“. Pressemeldung der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
gesundheitsinformation.de: „Umschriebene Entwicklungsstörungen in der Kindheit und Jugend“. Online-Information des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).