Legasthenie: Ursachen der Lese-Rechtschreibstörung (LRS)
Was ist die Ursache von Legasthenie?
Warum manche Kinder Schwierigkeiten beim Erlernen von Lesen und Schreiben haben, ist nicht abschließend geklärt. Bekannt ist, dass bei Legasthenie in der Regel mehrere Faktoren zusammenspielen (multifaktorielles Geschehen): Genetische Faktoren, neurobiologische Faktoren sowie kognitive Faktoren gehören zu den bekannten Ursachen einer Legasthenie.
Legasthenie-Ursache Genetik: Wer vererbt Legasthenie?
Genetische Faktoren spielen eine bedeutende Rolle bei der Entstehung einer Legasthenie, das haben Studien zeigen können. Schulische Entwicklungsstörungen kommen in Familien gehäuft vor. Hat ein Elternteil Legasthenie, besteht ein deutlich erhöhtes Risiko, dass das Kind ebenfalls eine Lese-Rechtschreibstörung entwickelt. Ist ein Kind in der Familie von einer Legasthenie betroffen, so haben in gut 40 Prozent der Fälle auch Geschwister oder ein Elternteil eine Lese-Rechtschreibstörung – oder beide. Allerdings verursacht dieser genetische Einfluss nicht zwangsläufig eine Legasthenie. Das Kind bringt aber eine gewisse Veranlagung dazu mit. Kommen weitere Risikofaktoren hinzu, steigt die Wahrscheinlichkeit.
Männliches Geschlecht häufiger betroffen
Auch das Geschlecht scheint bei Legasthenie eine Rolle zu spielen. So sind männliche Personen fast doppelt so häufig von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten betroffen wie weibliche. Männliche Kinder, deren Eltern bereits Legastheniker:innen sind, haben aufgrund ihrer Veranlagung und ihres Geschlechts ein erhöhtes Risiko, ebenfalls eine Legasthenie zu entwickeln.
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Legasthenie-Ursache: Forscher:innen finden neues Gen für Legasthenie
Wie bereits erwähnt, spielen genetische Faktoren bei der Entstehung einer Legasthenie eine bedeutende Rolle. Bisher sind über 20 verschiedene Gene beziehungsweise Genorte bekannt, die mit der Entstehung einer Legasthenie in Zusammenhang stehen. Im Jahr 2020 ist es einem Forscherteam der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und des Würzburger Universitätsklinikums gelungen, gemeinsam mit Wissenschaftler:innen aus Forschungseinrichtungen in Deutschland und den USA, ein weiteren Gen zu identifizieren, das bei Legasthenie eine Rolle spielt.
In einer Familie, in der seit über vier Generationen hinweg Legasthenie auftritt, haben die Wissenschaftler:innen einen neuen Genort auf Chromosom 4q28 nachgewiesen: eine spezifische Nukleotidvariante in einer Sequenz des SPRY1-Gens. Die Forscher:innen gehen davon aus, dass diese Sequenzveränderung das SPRY1-Gen beeinflusst. Eine direkte Konsequenz oder gar eine Therapie der Lese- und Rechtschreibstörung würden die Forschungsergebnisse allerdings nicht ergeben, schränken die Forscher:innen ein. Dennoch stelle die Entdeckung ein neues Puzzlestückchen für das Gesamtbild der Vorgänge im Gehirn bei Legasthenikern dar, so das Fazit der Wissenschaftler:innen.
Legasthenie-Ursache: Neurobiologie
Im Bereich der Neurobiologie deuten Forschungen darauf hin, dass bei Legasthenie-Betroffenen bestimmte Abläufe im Gehirn anders sind als bei Menschen ohne Legasthenie. Die Verarbeitung von äußeren Reizen, wie akustische und optische Signale, sind verändert. Forscher konnten über bildgebende Verfahren zeigen, dass bei Legasthenikern beim Lesen und Schreiben Abweichungen in den Aktivitätsmustern im Gehirn bestehen.
Auch bei der Verarbeitung von Sprache zeigen sich Unterschiede: Bei bis zu 80 Prozent der Kinder mit Legasthenie sind Schwächen in der sogenannten „phonologischen Bewusstheit“ erkennbar – also der Fähigkeit, lautliche Eigenschaften der Schriftsprache zu erkennen und zu gebrauchen. Das betrifft etwa die Fähigkeit, den Laut „u“ vom Laut „o“ zu unterscheiden. Ein kleiner Teil der LRS-Kinder hat Schwierigkeiten bei der visuellen Informationsverarbeitung. Ihnen gelingt es beispielsweise nicht, einzelne Buchstabenzeichen zu einem Wort zusammenzufügen, wenn sie diese lesen.
Veränderte Wahrnehmungs- und Denkprozesse
Abweichungen in den neurobiologischen Prozessen wiederum nehmen Einfluss auf die Denk- und Wahrnehmungsprozesse (Kognition) von Legasthenie-Betroffenen. Das wirkt sich beispielsweise auf das Arbeitsgedächtnis, die Konzentrationsfähigkeit, die Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen, Buchstabenkenntnis und Wortschatz aus.
Legasthenie und mögliche Begleiterkrankungen
Eine Legasthenie birgt zudem weitere Risiken: Viele Kinder haben Angst vor der Schule und sind überfordert von den Erwartungen, die dort an sie gestellt werden. Bei bestehender psychischer Belastung, fehlendem Verständnis und ohne entsprechende Förderung können sich Angststörungen und Depressionen entwickeln. Auch Rechenschwierigkeiten (Dyskalkulie) und die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) treten häufig in Zusammenhang mit einer LRS auf.
Lesetipp: ADHS: Was steckt hinter der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung?
Lesetipp: Depressionen bei Kindern: So kann geholfen werden.
Sind Legastheniker dümmer als andere Schüler?
Die Behauptung, Kinder mit Legasthenie seien dümmer und hätten einen niedrigeren IQ als ihre Mitschüler ohne Lese-Rechtschreibstörung, ist schlichtweg falsch. Mangelnde Intelligenz ist KEINE Legasthenie-Ursache. Unter Legasthenikern liegt die gleiche Normalverteilung der Intelligenz vor wie bei anderen Menschen. Sie haben „nur“ die Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben.
Quellen:
uni-wuerzburg.de: „Legasthenie: Neues Gen identifiziert“. Pressemeldung der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
neurologen-und-psychiater-im-netz.de: „Ursachen einer Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie)“. Online-Information der Berufsverbände für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.
legasthenie-zentrum-berlin: „Ursachen“. Online-Information des Legasthenie-Zentrum Berlin e.V.
legasthenieverband.org: „Fragen & Antworten. Was ist Legasthenie?“. Online-Information des Dachverbands Legasthenie Deutschland e. V. (DVLD).
gesundheitsinformation.de: „Umschriebene Entwicklungsstörungen in der Kindheit und Jugend“. Online-Information des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
bvl-legasthenie.de: „Was sind die Ursachen einer Legasthenie?“. Online-Information des Bundesverbands Legasthenie & Dyskalkulie e.V.
bvl-legasthenie.de: „Die Landesverbände. Legasthenie & Dyskalkulie“. Online-Information des Bundesverbands Legasthenie & Dyskalkulie e.V.
awmf.org: „Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und / oder Rechtschreibstörung“. S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP). AWMF-Registernummer 028-044.
baer.bayern.de: „Legasthenie – Lese- und Rechtschreibschwäche“. Online-Information von Bayerischer Erziehungsratgeber.