Trauma verarbeiten: Wie kann ich ein Trauma bewältigen?
Wie entsteht ein Trauma?
Als traumatisch werden der Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung“ zufolge solche Ereignisse bezeichnet, die eine außergewöhnliche Belastung oder extreme Bedrohung darstellen, die den tatsächlichen oder drohenden Tod oder eine ernsthafte Verletzung umfasst. Ein Trauma kann im Rahmen eines schweren Unfalls entstehen, den man selbst erlebt oder den man als Augenzeuge beobachtet. Kriegserlebnisse, Naturkatastrophen, Überfall, Raub sowie Gewalterfahrungen verschiedener Art, aber auch Bedrohung und Verletzungen durch andere Personen gehören zu den möglichen Trauma-Ursachen. Auch eine schwere, lebensbedrohende Krankheit kann ein Grund für den Wunsch nach einer Trauma-Bewältigung sein.
Trauma bewältigen: Direkthilfe nach dem Ereignis annehmen
Nach einem Unfall sind neben Feuerwehr und Polizei meist auch Seelsorger vor Ort, welche den Unfallbeteiligten und Zeugen seelische Unterstützung anbieten, sofern die Verletzungen es zulassen. Doch auch die Helfer und Rettungskräfte am Unfallgeschehen selbst benötigen oftmals Hilfe (sekundäre Traumatisierung). Opferzentren und Trauma-Ambulanzen bieten nach traumatischen Erlebnissen ebenfalls Hilfe an. Auch ein Anruf bei einem Seelsorgetelefon kann den Betroffenen nach dem Akuterlebnis helfen, die akute Stressreaktion, auch akute Belastungsreaktion oder akute Belastungsstörung genannt, abzufedern. Zudem können die Seelsorger am Telefon bei der Vermittlung von weiterführenden Hilfsangeboten in der Nähe helfen.
Trauma verarbeiten: Wie geht es mir?
Betroffene sollten nach dem Erleben eines traumatisierenden Ereignisses nicht nur Unterstützung suchen, sondern sich auch selbst beobachten und fragen: Wie geht es mir? Treten Symptome auf, die bislang unbekannt waren, etwa Panikattacken, Albträume, andauernde Alarmiertheit, belastende Gedanken, Angst sowie Gefühle von Hilflosigkeit und Unsicherheit, sollten diese mit einer Psychologin oder einem Psychologen besprochen werden.
Akute Traumafolge-Symptome sind Teil des Bewältigungs- und Anpassungsprozesses des Körpers. Auch wenn sie belastend sind, sind sie doch ein wichtiger Bestandteil der Verarbeitung. Kritisch wird es dann, wann die Beschwerden länger als vier Wochen andauern oder sich die Symptomatik verstärkt. Dann kann sich eine Traumafolgestörung entwickelt haben.
Was sind Symptome einer Traumatisierung?
Wichtig zu wissen ist: Es ist auch eine verzögerte Symptomentwicklung möglich. Das heißt, die Traumafolgesymptome treten erst einige Zeit nach dem traumatisierenden Ereignis auf. Betroffene sowie nahe Angehörige sollten aufmerksam bleiben. Zu den akuten Symptomen von psychischer Traumatisierung, zitiert aus der Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung“, gehören:
- Sich aufdrängende, belastende Gedanken und Erinnerungen an das Geschehen (Intrusionen in Form von bildhaften Erinnerungen oder anderen sensorischen Fragmenten, Alpträumen mit Themen, die für das Trauma typisch oder mit diesem verknüpft sind)
- Flashbacks in Form von Reaktionen, bei denen die Person fühlt oder handelt, als ob das oder die Ereignisse sich gerade wieder ereignen)
- Erinnerungslücken (z.B. partielle Amnesien)
- Intensive und anhaltende psychische Belastung bei Konfrontation mit inneren oder äußeren Hinweisreizen/Triggern, die das traumatische Ereignis symbolisieren oder an es erinnern
- Übererregungssymptome (Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit,
vermehrte Reizbarkeit,
Wutausbrüche, gesteigerte Aggressivität, Konzentrationsstörungen, erhöhte Herzfrequenz in Ruhe, Leistungsabfall) - Somatoforme Symptome unspezifischer Art (Erschöpfung, Schmerzen
unterschiedlicher
Lokalisation und Intensität, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen; Übelkeit, Blähungen,
Schwerfälligkeit, Brennen im Kopf) - Anhaltende Unfähigkeit, positive Gefühle (zum Bespiel Glück, Zufriedenheit, Zuneigung) zu empfinden
- Depressive Reaktionen, Probleme im Sozialkontakt, moralische
Verletzung (moral injury),
Schamerleben, Schulderleben, insbesondere auch Überlebensschuld - Substanzmissbrauch (zum Beispiel Alkohol und Benzodiazepine)
- Rückzugs- und Vermeidungsverhalten (Vermeidung traumaassoziierter Stimuli)
- Veränderte affektive Reaktionen (inadäquates Lachen/Weinen, nicht
kontrollierbare
Angstzustände, intensive Stimmungsschwankungen, aggressives Verhalten) und/ oder
emotionale Taubheit (Gefühlsabflachung, Teilnahmslosigkeit, „auffällige Unauffälligkeit“) - Psychotisches Erleben
- Psychosoziale Funktionseinschränkungen
- Verändertes Erleben der Selbst-, Realitäts- und Zeitwahrnehmung
(Derealisation,
Depersonalisation und weitere dissoziative Symptome) - Einengung der psychomotorischen Reaktionsfähigkeit bis zum dissoziativen Stupor
Trauma-Verarbeitung: Jedes Trauma zeigt sein eigenes Gesicht
Die Häufigkeit akuter Symptomatik und chronischer Traumafolgestörungen ist unter anderem von der Art des traumatisierenden Ereignisses sowie von der individuellen Balance von Schutz- und Risikofaktoren abhängig. Trauma-Symptome können auch zu einem späteren Zeitpunkt entstehen. Traumafolgestörungen, wie eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), können nach Wochen bis Monaten oder Jahren auftreten.
Wie die Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung“ darstellt, stehen Schutz- und Risikofaktoren in einem dynamischen Verhältnis zueinander. Das heißt: Ein symptomfreies Intervall kann durch den Wegfall von Schutzfaktoren oder der Zunahme von Stressoren in ein Intervall mit Symptomen umschlagen. Auch kann eine starke Erschöpfung aufgrund von Trauma-Bewältigungsbemühungen dazu führen, dass Trauma-Symptome erneut aufflammen. Wer Trauma-Symptomen bei sich feststellt, sollte professionelle Unterstützung suchen, um das Trauma verarbeiten und bewältigen zu können.
Traumatisches Ereignis bewältigen: Schutzfaktoren
Nicht immer hat ein potenziell traumatisches Ereignis ein Trauma oder eine Traumafolgestörung zur Folge. Es gibt bestimmte Schutzfaktoren, die dabei helfen, dass traumatische Ereignis zu verarbeiten, bevor es zum Trauma wird. Zu diesen individuellen Schutzfaktoren gehört unter anderem, wie das Erlebte wahrgenommen und von den Betroffenen bewertet wird. Es ist weniger die tatsächliche Gefahr von Relevanz, sondern vielmehr die subjektiv wahrgenommen Bedrohung und die Bewertung der betroffenen Person.
Ein weiterer Schutzfaktor ist, wenn die betroffene Person eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung mitbringt. Das umfasst die eigenen Erwartungen, Anforderungen und Hindernisse mit den vorhandenen Ressourcen selbst zu bewältigen. Es geht also um eine positive Einschätzung, Krisensituationen selbstbestimmt zu meistern. Eine erfolgreiche Bewältigung eines früheren traumatischen Ereignisses kann die Selbstwirksamkeitserwartung bei einem erneuten traumatischen Ereignis positiv beeinflussen.
Trauma-Schutzfaktor soziale Unterstützung
Ebenfalls ein bedeutender Schutzfaktor ist wahrgenommene soziale Unterstützung – dabei vor allem auch der Schutz vor weiteren zusätzlichen Belastungen. Soziale Unterstützung kann die unmittelbare emotionale Reaktion auf das akute Stressereignis abmildern. Ebenso ist ein hohes Kohärenzgefühl ein wichtiger Schutzfaktor, also eine grundsätzliche positive Lebenseinstellung. Auch zunehmendes Alter ist ein Schutzfaktor: Kinder haben ein besonders hohes Risiko, für die Entwicklung eines Traumas – und ein entsprechend hohes Risiko, dass sich die Folgen des Traumas in das Erwachsenenleben hineinziehen.
Trauma verarbeiten durch Schutz und Vertrauen
Damit Betroffene das Trauma bewältigen können, ist es mit Blick auf die psychologische Begleitung und Trauma-Therapie wichtig, dass eine akzeptierende, wertschätzende und emotional einfühlende Verbindung zwischen Behandelndem und Betroffenem aufgebaut werden kann. Nur in einem geschützten Rahmen, in dem sich die betroffene Person sicher und angenommen fühlt, kann Trauma-Heilung stattfinden.
Trauma-Therapie: Feste Ziele definieren
Auch sollte Einvernehmen hinsichtlich der zu erreichenden Ziele und der dafür genutzten Behandlungsmaßnahmen bestehen. Der Betroffene sollte – soweit möglich – die Kontrolle über die Situation und die therapeutischen Maßnahmen bekommen. Je offener in der Therapie zu Therapie, Prognose, Risiken und Nebenwirkungen kommuniziert wird, desto besser ist das für den Verlauf der Trauma-Bewältigung.
Wichtig: Psychologische Betreuung für die Trauma-Verarbeitung hat nur dann Erfolg, wenn der betroffene Mensch sich aktiv dafür entscheidet und die Hilfe auch möchte. Es sollte keine psychologische Betreuung aufgezwungen und die betroffene Person dahingehend nicht unter Druck gesetzt werden. Angaben der Leitlinie zufolge schafft es ein großer Teil der Betroffenen nach eine traumatischen Ereignis, sich selbst zu regulieren und benötigt daher keine psychosoziale Unterstützung, etwa in Form einer Trauma-Therapie.
Quellen
S2k-Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung“ der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie; der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde; der Deutschen Gesellschaft für Psychologie sowie der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin und ärztliche Psychotherapie (DGPM). AWMF-Register Nr. 051-027.
Schutzfaktor Selbstwirksamkeitserwartung. Online-Information der Resilienz Akademie.
Krise/ Notfall: Links. Online-Information der Berufsverbände und Fachgesellschaften für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland und der Schweiz.
Telefonseelsorge – anonyme Hilfe Tag und Nacht. Online-Angebot der Diakonie Deutschland.
Ein offenes Ohr für alle Anliegen. Online-Angebot der Telefonseelsorge Deutschland.
Überregionale Krisentelefone. Online-Angebot der Stiftung Deutsche Depressions-Hilfe.
Traumatische Belastungsstörung. Online-Information des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
Dr. Peter A. Levine: Sprache ohne Worte. Die Botschaften unseres Körpers verstehen. Das Grundlagenbuch zu Trauma, Selbstregulation und dem Finden von innerer Balance. Kösel-Verlag.
Was ist ein Trauma und wie entstehen Traumafolgestörungen? Online-Information der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT).
Risikofaktor: Trauma oder schwere Belastung. Online-Information der Berufsverbände und Fachgesellschaften für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland und der Schweiz.
Posttraumatische Belastungsstörung. Online-Information des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
Trauma bei Kindern und Jugendlichen. Informationen für Lehr- und Erziehungskräfte. Ratgeber des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
Was ist Trauma? Online-Information des Trauma- und Opferzentrums Frankfurt e. V.
Trauma- und stressbezogene Störungen – eine Übersicht. Online-Information von MSD Manual. Ausgabe für Patienten.