frau zieht sich an den haaren
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Trichotillomanie: Haarausfall durch Haareausreißen

Stress, psychische Belastung, innerer Druck, Ängste: Unter psychischer Anspannung reißen sich Trichotillomanie-Betroffene die Haare aus – meist das Kopfhaar, seltener Augenbrauen, Wimpern und andere Körperbehaarung. Trichotillomanie: Ursachen, Symptome und Behandlung.

Was ist Trichotillomanie?

Trichotillomanie-Betroffene reißen oder zupfen sich unter emotionalem Stress zwanghaft Haare aus. Meist führt Trichotillomanie zu Haarverlust auf dem Kopf und/ oder der Augenbrauen und Wimpern. Aber auch andere Körperhaare können herausgerissen werden, etwa die Scham- oder Brustbehaarung. Der mechanische Haarverlust wird auch als Traktionsalopezie bezeichnet. Das Haarausreißen hat für die Betroffenen meist die Funktion, innere Spannungen und Gefühle wie Angst, Trauer, Wut, Hilflosigkeit und Stress zu lindern. Trichotillomanie-Betroffenen gelingt es nicht, ihr Verhalten zu unterdrücken – auch wenn der Haarverlust sie stark belastet.

Trichotillomanie: Impulskontrollstörung oder Zwangsstörung?

Experten sind sich bei der genauen Einordnung der Trichotillomanie (Haarzupfsucht) nicht ganz einig: Während Trichotillomanie im DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) ebenso wie im ICD-10 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) unter Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen – Störungen der Impulskontrolle (Impulskontrollstörung) eingeordnet ist, fordern vor allem US-Autoren eine Zuordnung zu den Zwangsstörungen.

Trichotillomanie: Teufelskreis für viele Betroffene

Viele Trichotillomanie-Betroffene versuchen, die kahlen Stellen mit Mützen und Tüchern zu kaschieren. Viele schämen sich so sehr für ihr Verhalten und die damit einhergehende Erscheinung, dass sie sich aus ihrem sozialen Umfeld zurückziehen. Diese zusätzliche Einschränkung der Lebensqualität und der Verlust sozialer Kontakte kann die Impulskontrollstörung weiter verstärken. Ein Teufelskreis. Depressionen, Angststörungen, andere psychische Erkrankungen sowie weitere Zwangssymptome können die Trichotillomanie begleiten.

Trichotillomanie-Ursache: Warum reißen sich Menschen Haare aus?

Wie entsteht Trichotillomanie? Die genaue Ursache der Impulskontrollstörung Trichotillomanie ist nicht abschließend geklärt. Experten vermuten neben genetischen Einflüssen auch neurobiologische Einflussfaktoren. Der Trichotillomanie-Auslöser ist eine starke innere Anspannung. Das kann Stress sein, etwa in einer Prüfungsphase oder in beruflichen Belastungssituationen. Doch auch Ängste, Trauer, Traurigkeit und Hilflosigkeit können die Zwangshandlung verursachen. Das Haareausreißen dient wie ein „Blitzableiter“ für negative Gefühle. Die Betroffenen fühlen sich dabei und danach kurzzeitig besser. Anschließend schämen sich viele wegen des Kontrollverlusts.

"Sobald ich unter emotionalem Druck stehe, fange ich an, mir die Haare auszureißen. Das gibt mir für den Moment ein Gefühl der Erleichterung. Danach bin ich frustriert und schäme mich. Oft reiße ich mir die Wimpern aus. Das sieht nicht schön aus und ich versuche, mit Lidstrich zu kaschieren. Ich schaffe es einfach nicht, damit aufzuhören. Dass es sich dabei um die Zwangsstörung Trichotillomanie handelt, habe ich erst durch meine Psychotherapeutin erfahren."
— Ania C.

Trichotillomanie-Symptome: Haareausreißen und emotionale Belastung

In Deutschland sind Schätzungen zufolge etwa 2,5 Prozent der Bevölkerung einmal in ihrem Leben von Trichotillomanie betroffen. Oftmals zeigt sich das Krankheitsbild der Trichotillomanie um die Pubertät herum zum ersten Mal. Besonders häufig betroffen sind Frauen: Etwa 90 Prozent der erwachsenen Trichotillomanie-Betroffenen sind weiblich. Wie stark das Haareausreißen ausgeprägt ist, ist individuell verschieden. Bei manchen Betroffenen ist das Kopfhaar im Gesamten etwas ausgedünnt. Bei anderen sind vereinzelt kahle Stellen sichtbar.

Die Haare sind unterschiedlich lang. Nachwachsende Haare können stoppelig zwischen längeren hervorragen. Auch Augenbrauen und Wimpern können zum Teil oder ganz fehlen. Die Zwangshandlung kann unbewusst ausgeführt werden oder wird zielgerichtet genutzt, um Spannungsgefühle abzubauen und ein gewissen Gefühl der Erleichterung und Befriedigung zu erlangen.

Trichotillomanie-Rituale können Zwangsstörung begleiten

Trichotillomanie-Betroffene schämen sich häufig für ihre unkontrollierte, zwanghafte Handlung. Sie leiden unter der Störung und unter den optischen Folgen des Haarverlustes. Trotzdem gelingt es ihnen nicht, das Haareausreißen zu unterlassen. Bestimmte Rituale können das Haareausreißen begleiten. Manche reißen gezielt Haare mit einer bestimmten Struktur heraus, beißen zuvor auf der Haarsträhne herum oder spielen anderweitig mit ihren Haaren.

Weitere Zwangshandlungen können hinzukommen, beispielsweise:

  • Kratzen, Beißen, Picken der Haut (Dermatillomanie, engl. skin picking)
  • Nägelkauen
  • Fäden aus der Kleidung oder aus Decken ziehen
  • anderen Personen Haare ausreißen
  • Haare essen

Viele Trichotillomanie-Betroffene essen die ausgerissenen Haare. Je nach Menge kann das gefährlich werden. Bilden die Haare im Verdauungstrakt einen Haarknoten (Trichobezoare), droht neben Übelkeit, Erbrechen, Schmerzen und Verdauungsbeschwerden ein gefährlicher Magen- oder Darmverschluss.

Trichotillomanie behandeln

Die kognitive Verhaltenstherapie ist die Basis der Trichotillomanie-Behandlung. Bestehen begleitende psychische Erkrankungen, werden diese ebenfalls in der Trichotillomanie-Therapie berücksichtigt. Begleitet eine Depression oder eine Angststörung das zwanghafte Haareausreißen, können Antidepressiva die Behandlung ergänzen. Wichtiger Bestandteil der Trichotillomanie-Therapie ist das sogenannte Habit-Reversal-Training. Dabei lernt der Patient, sich seiner Zwangshandlung bewusst zu werden; zu erkennen, welche Situationen die Zwangshandlung auslösen; dem Drang, die Haare auszureißen zu widerstehen und eine alternative Handlung zu erlernen.

Trichotillomanie-Betroffene reißen sich Kopfhaare, Augenbrauen, Wimpern und seltener andere Körperbehaarung aus, etwa Schamhaare. Trichotillomanie zählt zu den Impulskontrollstörungen. Obwohl den Betroffenen die Handlung meist unangenehm ist, sie sich für den Kontrollverlust schämen und sie unter den Folgen leiden, können sie das Haareausreißen nicht unterlassen. In der Regel ist das Ausreißen der Haare mit belastenden Emotionen wie Angst, Anspannung, Traurigkeit, Hilflosigkeit oder anderen verknüpft, welche Betroffene versuchen, durch das Haareausreißen zu lindern. 
Um die Diagnose Trichotillomanie stellen zu können, stützt sich der Arzt auf bestimmte Symptome, darunter: Unkontrolliertheit der Handlung; misslungene Versuche, das Haareausreißen zu unterlassen; sichtbarer Haarverlust an Kopf und/ oder anderen Körperbereichen; ein hoher Leidensdruck; psychische Belastungen.
Schätzungen zufolge sind etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung von Trichotillomanie betroffen. Im Kindesalter tritt Trichotillomanie bei Jungen und Mädchen gleich häufig auf. Im Erwachsenenalter sind mehr Frauen betroffen. Bei zwei Dritteln der Betroffenen tritt die Zwangsstörung in der Pubertät erstmals auf.

Quellen:

Haareausreißen (Trichotillomanie). Online-Information MSD Manual. Ausgabe für Patienten

Trichotillomanie. Rätselhafte psychische Erkrankung. Online-Information des Deutschen Ärzteblatts

Selbsthilfe für Trichotillomanie. Online-Information des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf

Trichotillomanie. ICD-10-Code

Disclaimer: Dieser Text enthält nur allgemeine Hinweise und ist nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung geeignet. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Alle individuellen Fragen, die Sie zu Ihrer Erkrankung oder Therapie haben, besprechen Sie mit Ihrem behandelnden Arzt.
AL
Ann-Kathrin Landzettel
Autor/-in
Ann-Kathrin Landzettel M. A. ist Gesundheitsjournalistin aus Leidenschaft. Vor allem zwei Fragen treiben die geprüfte Gesundheits- und Präventionsberaterin an: Wie können wir lange gesund bleiben – und wie im Krankheitsfall wieder gesund werden? Antworten findet sie unter anderem im intensiven Austausch mit Ärztinnen und Ärzten sowie in persönlichen Gesprächen mit Patientinnen und Patienten. Seit fast zehn Jahren gibt sie dieses Wissen rund um Gesundheit, Medizin, Ernährung und Fitness an ihre Leserinnen und Leser weiter.
Ann-Kathrin Landzettel
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