blau-weiße kapseln fallen auf boden
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Medikamenten-Vergiftung: So verhalten Sie sich im Notfall richtig

Eine Medikamentenvergiftung steht häufig im Zusammenhang mit einem Selbstmordversuch. Doch die Vergiftung mit Medikamenten kann auch unbeabsichtigt passieren, etwa wenn ältere Menschen aus Versehen zu viel einnehmen (Überdosierung) oder es bei der Medikamentengabe zu Verwechslungen kommt. Was Sie über eine Arzneimittelvergiftung wissen sollten und wie Sie Erste Hilfe leisten.

Was ist eine Medikamentenvergiftung?

Bei einer Vergiftung (Intoxikation) durch Medikamente wurde dem Körper eine kritische Dosis bestimmter medikamentöser Substanzen zugeführt (Überdosierung). Oftmals geschieht das im Rahmen von Selbstmordabsichten. Menschen, die vorhaben, Suizid zu begehen, nehmen oft einen Medikamenten-Cocktail aus Schlafmitteln, Beruhigungsmitteln und Schmerzmitteln ein. Oftmals wird zugleich eine große Menge Alkohol konsumiert. Die Wirkungen der verschiedenen Medikamente haben unvorhersehbare Auswirkungen. Der Alkohol verstärkt die vergiftende Wirkung.

Möglich ist auch, dass Kinder große Mengen Medikamente schlucken, wenn etwa der Apothekenschrank frei zugänglich ist und die bunten Tabletten fälschlicherweise als Süßigkeiten interpretiert werden. Von einer Medikamentenvergiftung können auch ältere Menschen betroffen sein. So ist beispielsweise bei Patientinnen und Patienten mit Demenz das Risiko erhöht, dass Medikamente verwechselt oder zu große Mengen eingenommen werden. Je mehr Medikamente aufgrund bestimmter Erkrankungen geschluckt werden müssen und je unterschiedlicher die verschiedenen Dosierungen ausfallen, desto schwieriger ist es für Ältere – aber oft auch Jüngere – den Überblick zu behalten.

Arzneimittelvergiftung: Welche Medikamente werden häufig überdosiert?

Medikamentenvergiftungen sind mit verschiedenen Substanzen und Medikamentengruppen möglich, unter anderem:

Vergiftung mit Schlaf- und Beruhigungsmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine: etwa Alprazolam, Bromazepam, Diazepam, Nitrazepam, Flunitrazepam, Flurazepam, Lormetazepam, Lorazepam, Triazolam.

Vergiftung mit rezeptfrei erhältlichen Schmerzmedikamenten: etwa Schmerzmittel mit den Wirkstoffen Paracetamol oder ASS (Acetylsalicylsäure)

Vergiftungen mit rezeptpflichtigen Schmerzmitteln der Opiat-Gruppe: Morphin, Codein, Heroin, Pethidin und Methadon

Vergiftung mit Antidepressiva: etwa Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin.

Vergiftung mit Blutdrucksenkern: etwa ACE-Hemmer wie Ramipril, Enalapril, Lisinopril, Perindopril. Angiotensin-Rezeptorblocker (Sartane). Diuretika (Entwässerungsmittel) wie Chlortalidon, Hydrochlorothiazid, HCT, Indapamid. Betablocker wie Metoprolol, Bisoprolol, Nebivolol

Vergiftung mit Herz-Kreislauf-Medikamenten: Herzglykoside wie Digoxin, Digitoxin und Acetyldigoxin. Antiarrhythmika mit Wirkstoffen wie Ajmalin, Amiodaron, Atropin, Carteolol, Chinidin, Detajmium, Dronedaron, Esmolol.

Was ist eine Paracetamol-Vergiftung?

Eine Paracetamol-Vergiftung ist die Folge einer zu hohen Einnahme des Schmerzmittelwirkstoffs Paracetamol. Eine Paracetamol-Vergiftung kann akut oder chronisch auftreten. Bei der akuten Vergiftung wird zu viel des Wirkstoffs auf einmal eingenommen. Beim chronischen Verlauf ist die Vergiftung auf eine Zufuhr über einen längeren Zeitraum zurückzuführen. So kann Paracetamol die Leber schädigen. Das Tückische: Es ist möglich, dass erste Symptome der Paracetamol-Vergiftung sich erst dann zeigen, wenn das Filterorgan bereits beträchtlichen Schaden genommen hat. Meist zeigt sich die Vergiftung zuerst durch Übelkeit, Bauchschmerzen und Erbrechen. Aufgrund der Belastung der Leber kann ab Tag vier die Haut langsam gelb werden, da die Filter- und Entgiftungsfunktion gestört ist. Blutungen unter der Haut sowie Nasenbluten und Zahnfleischbluten sind weitere Symptome. Erholt sich das Organ nicht oder bleiben entsprechende medizinische Behandlungsmaßnahmen aus, können die Betroffene sterben.

Bei Verdacht auf eine Paracetamol-Vergiftung zum Arzt

Bei Verdacht auf eine Paracetamol-Vergiftung sollten Sie immer Kontakt mit einer Giftnotrufzentrale oder einem Giftinformationszentrum oder Ihrem Hausarzt oder Ihrer Hausärztin aufnehmen und bei schweren Symptomen den Notruf unter 112 rufen. Achten Sie darauf, die empfohlen Höchstdosen des Medikaments nicht zu überschreiten und denken Sie daran, dass verschiedene Medikamente den Wirkstoff enthalten können, etwa Schmerztabletten, Grippemittel und so weiter. So summiert sich die Menge leicht. Verzichten Sie zudem auf Paracetamol, wenn Sie eine kranke Leber haben. So können Sie einer Paracetamol-Vergiftung vorbeugen.

Verdacht auf Medikamentenvergiftung: Was soll ich tun?

Haben Sie den Verdacht, dass Sie Medikamente überdosiert haben oder eine andere Person zu viele Medikamente geschluckt hat, ist rasches Handeln gefragt. Eine Arzneimittelvergiftung kann lebensbedrohlich werden. Wenden Sie sich unverzüglich telefonisch bei einem Giftnotruf. Über die Suche der Gelben Seiten finden Sie Adressen von Giftnotrufzentralen und Giftinformationszentren in Ihrer Nähe. Auch über die Webseite des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit finden Sie eine Liste der Giftnotrufzentralen und Giftinformationszentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Zögern Sie bei schweren Symptomen nicht, den Notruf unter 112 zu rufen.

Tipp: Hängen Sie die Telefonnummer gut sichtbar auf, etwa an die Pinnwand im Flur oder an den Kühlschrank in der Küche. So haben Sie diese im Notfall gleich zur Hand. Eine andere Möglichkeit ist, die Nummer im Handy einzuspeichern oder sie im Geldbeutel aufzubewahren. Wichtig: Sind Kinder betroffen, sollten diese in jedem Fall in ärztliche Behandlung.

Welche Symptome bei Medikamentenvergiftung?

Die Symptome einer Medikamentenvergiftung können sich auf vielfältige Weise zeigen. Abhängig sind die Beschwerden von der eingenommenen Substanz und der Menge der Wirkstoffe. Symptome, die auf eine Medikamentenvergiftung hindeuten können, sind:

  • Übelkeit
  • Magenkrämpfe
  • Erbrechen
  • Durchfall
  • Hautreaktionen
  • Kopfschmerzen
  • Schwindel
  • Herzrasen oder verlangsamte Herzfrequenz
  • kalter Schweiß
  • Zittern
  • Muskelkrämpfe
  • Müdigkeit
  • Verwirrtheit
  • Blutdruckabfall
  • Atemstörungen
  • Bewusstlosigkeit
  • Atemstillstand
  • Herzstillstand

Einfacher sind Vergiftungserscheinungen einzuordnen, wenn man die Überdosierung selbst bemerkt oder gesehen hat, wie eine andere Person zu viel eingenommen hat. Im Falle eines Selbstmordversuchs lassen sich die Medikamentenverpackungen oft neben dem Vergifteten finden. Für die Notärzte ist es wichtig, zu wissen, ob der Verdacht auf eine Vergiftung besteht und welche Medikamente möglicherweise die Vergiftung ausgelöst haben. Geben Sie daher immer die Medikamente mit, die in Verdacht stehen.

Wichtig: Die Vergiftungssymptome sind nicht zu verwechseln mit möglichen Nebenwirkungen bestimmter Medikamente. Diese können auch bei normalen Dosierungen auftreten.

Wann bei Medikamentenvergiftung den Notruf unter 112 wählen?

Kommt es im Rahmen der Medikamentenvergiftung zu Bewusstlosigkeit, Atemstillstand oder einem Schock, sollten Sie mit entsprechenden Erste Hilfe-Maßnahmen beginnen – stabile Seitenlage oder Wiederbelebungsmaßnahmen – und unverzüglich den Notruf 112 wählen. Äußern Sie auf jeden Fall den Verdacht auf eine Medikamentenvergiftung.

Erste Hilfe bei Medikamentenvergiftung

Bei Bewusstlosigkeit und akuter Atemnot sollten Sie immer den Notruf unter 112 wählen. Ist der Betroffene bei Bewusstsein, wenden Sie sich an eine Giftnotrufzentrale. Entfernen Sie mögliche Tablettenreste aus dem Mund. Führen Sie Erste Hilfe-Maßnahmen durch: bei Erbrechen und Schwäche die stabile Seitenlage, bei Atemstillstand Wiederbelebungsmaßnahmen wie die Herzdruckmassage oder Beatmung.

Um einer Medikamentenvergiftung bei Kindern vorzubeugen, ist es wichtig, dass Medikamente nie für die Kleinen zugänglich sind. Ebenso wichtig ist es, bei Medikamenten immer die vom Arzt verordnete Dosierung zu beachten. Älteren Menschen hilft es oft, wenn sie jemanden haben, der sie bei der Einnahme unterstützt oder ihnen in einen Tablettendosierer die entsprechenden Medikamente in die Fächer Montag bis Freitag einfüllt. Tablettendosierer/ Medikamentendosierer helfen generell, den Überblick über die Einnahme von Medikamenten zu behalten – besonders, wenn mehrere Präparate eingenommen werden müssen.
Experten der Giftnotrufzentralen zufolge gehören Vergiftungen mit Haushalts- und Reinigungsmitteln zu den häufigsten Vergiftungen, bei denen sie kontaktiert werden. Dazu gehören Spül- und Waschmittel, Allesreiniger oder Shampoos. Denn sie sind für Kinder oft frei zugänglich und für sie daher eine potenzielle Gefahr. Alkoholvergiftungen zählen bei Erwachsenen zu den häufigen Vergiftungen, ebenso Medikamentenvergiftungen. Medikamentenvergiftungen spielen vor allem im Zusammenhang mit Selbstmordabsichten eine Rolle. Im beruflichen Umfeld kann es zu Rauchvergiftungen, Gasvergiftungen oder Vergiftungen durch den Kontakt mit Chemikalien kommen, die eingeatmet, geschluckt oder über die Haut aufgenommen werden. Auch Lebensmittelvergiftungen sind nicht selten, vor allem Infektionen mit Salmonellen, Campylobacter, Listerien, Staphylokokken, Eschericia coli oder dem Bakterium Clostridium botulinum. 
Da eine Medikamentenvergiftung lebensbedrohlich sein kann, ist schnelles Handeln gefragt. In der Klinik ist die wichtigste intensivmedizinische Maßnahme, den Kreislauf mit Medikamenten zu stabilisieren. Es kann eine künstliche Beatmung oder gar eine Schockbehandlung notwendig werden. Im nächsten Schritt versuchen die Intensivmediziner, das Gift (Toxin) im Körper zu reduzieren. Dies kann unter anderem durch Aktivkohle erreicht werden, die giftige Stoffe an sich bindet und die Ausscheidung unterstützt. Abführende Mittel sowie eine Magenspülung können ebenfalls zur Entgiftung eingesetzt werden. Bei manchen Toxinen helfen bestimmte Arten der Blutwäsche, um den Giftstoff auszuleiten. Für einige Giftstoffe gibt es gezielte Gegenmittel.

Quellen:

Liste der Giftnotrufzentralen und Giftinformationszentren in Deutschland, Österreich und Schweiz. Online-Information des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.

Medikamente: Vergiftung und Erste Hilfe. Online-Information des Öffentlichen Gesundheitsportals Österreichs des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz.

Blutdruck senken: Welche Blutdrucksenker gibt es? Online-Information der Deutschen Herzstiftung e. V.

Übersicht über Vergiftungen. Online-Information von MSD Manual. Ausgabe für Patienten.

Vergiftungen erkennen. Online-Information des Bayerischen Roten Kreuzes

Vergiftungen. Online-Information des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e. V. (BVKJ).

Akute Vergiftungen. Online-Information der medizinischen Klinik & Poliklinik I am Uniklinikum Würzburg.

Disclaimer: Dieser Text enthält nur allgemeine Hinweise und ist nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung geeignet. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Alle individuellen Fragen, die Sie zu Ihrer Erkrankung oder Therapie haben, besprechen Sie mit Ihrem behandelnden Arzt.
AL
Ann-Kathrin Landzettel
Autor/-in
Ann-Kathrin Landzettel M. A. ist Gesundheitsjournalistin aus Leidenschaft. Vor allem zwei Fragen treiben die geprüfte Gesundheits- und Präventionsberaterin an: Wie können wir lange gesund bleiben – und wie im Krankheitsfall wieder gesund werden? Antworten findet sie unter anderem im intensiven Austausch mit Ärztinnen und Ärzten sowie in persönlichen Gesprächen mit Patientinnen und Patienten. Seit fast zehn Jahren gibt sie dieses Wissen rund um Gesundheit, Medizin, Ernährung und Fitness an ihre Leserinnen und Leser weiter.
Ann-Kathrin Landzettel
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